Die Mitternachtsrose
eigentlich nicht fragen musste, wie ich mir meine Zukunft vorstelle, jedoch den Anstand besaß, es zu tun, bot mir meine Freiheit an. » Wenn ich hierbliebe, würde Indira mir schrecklich fehlen « , antwortete ich ehrlich. » Sie ist wie eine Schwester für mich. «
» Indira und unsere Freunde fehlen uns allen, wenn wir unterwegs sind « , pflichtete die Maharani mir bei. » Doch das Leben, das du bei ihr als erwachsene Frau führen würdest, ist vermutlich nicht das, was du dir wünschst. Obwohl es meine Tochter schmerzen wird, dich zu verlieren, würde ich dich nicht den Rest deines Lebens in einer zenana eingesperrt wissen wollen, wo du deinen scharfen Verstand nicht nutzen könntest. Und… « , sie seufzte, » …verzeih mir, wenn ich kein Blatt vor den Mund nehme, aber selbst wenn ich dir helfe, sind deine Aussichten auf eine Eheschließung… begrenzt. «
» Das ist mir klar. «
» Es liegt also bei dir, Anni, ob du in England bleiben und deine Ausbildung fortsetzen möchtest– ich fände es unbefriedigend, wenn du das nach all den Jahren der Arbeit nicht tun würdest– oder ob du lieber mit Indira und mir nach Indien zurückkehrst. Deine Schiffspassage nach Hause ist bereits gebucht, doch das lässt sich jederzeit rückgängig machen. «
» Hoheit, ich brauche etwas Zeit zum Überlegen. «
» Natürlich. Unterhalten wir uns morgen weiter. Wollen wir hoffen, dass Indira sich rechtzeitig vor der Reise von ihrer Krankheit erholt. «
» Ja. «
Als ich zur Tür ging, folgte die Maharani mir und legte mir die Hand auf die Schulter. » Vergiss nicht, Anni, dass ich meine Tochter in- und auswendig kenne. Sie ist mir sehr ähnlich. Ihr Herz beherrscht ihren Verstand. «
Damit wollte die Maharani mir sagen, dass sie über Indiras Schwärmerei für Prinz Varun Bescheid wusste. Vermutlich war das einer der Gründe für ihre Entscheidung, Indira mit nach Indien zu nehmen. Ich war erleichtert, dass sie diese Last von mir genommen hatte.
In jener Nacht ging ich leise im Zimmer auf und ab, während Indira tief und fest schlief. Der Gedanke, selbst Entscheidungen treffen zu können, beschäftigte mich– ich hielt mein Schicksal in den eigenen Händen. Allein in England zu bleiben und meine Ausbildung fortzusetzen, wäre ein mutiger Schritt, während ich bei einer Rückkehr mit der Maharani und Indira nach Indien weiterhin den Schutz der Herrscherfamilie genießen würde. Als mir das Erlebnis in der Royal Academy of Arts einfiel, bekam ich eine Gänsehaut. Doch wenn Indira tatsächlich die für sie geplante Ehe schloss, wäre meine Zukunft, wie die Maharani mir zu verstehen gegeben hatte, auf die Grenzen von Indiras neuer zenana beschränkt. Und mit ziemlicher Sicherheit würde ich den Rest meiner Tage als alte Jungfer verbringen.
Während in England die Freiheit und– ich zwang mich, ehrlich zu sein– Donald auf mich warteten.
Ich wusste, dass wir nur Freunde waren und angesichts des Standesunterschieds und der Rassenschranken nie mehr sein konnten, aber wenn ich nach Indien zurückkehrte, würde ich ihn auf keinen Fall wiedersehen.
Am Ende tat ich das, was jeder junge Erwachsene tut, wenn er vor einer schwierigen Entscheidung steht: Ich befragte meine Eltern. Im Schneidersitz blickte ich zum Himmel hinauf und bat sie um Rat. Und wartete auf eine Antwort…
» Ich möchte in England bleiben und meine Ausbildung fortsetzen. «
Die Maharani bedachte mich mit einem Lächeln. » Diese Antwort hatte ich erwartet, Anni. «
» Ich glaube… « Es war das erste Mal, dass ich die Gedanken, die mir schon eine Weile durch den Kopf gingen und sich erst durch die Befragung meiner Eltern herauskristallisiert hatten, laut aussprach. » Ich glaube, ich würde gern eine Schwesternausbildung machen. «
» Das könnte ich mir bei dir gut vorstellen. «
» Aber was wird dann aus Prinzessin Indira? Wir sind fast sechs Jahre lang zusammen gewesen. Sie soll nicht das Gefühl haben, dass ich sie im Stich lasse. «
» Wie wir beide wissen, ist meine Tochter im Moment emotional sehr beschäftigt. Sie hat weder Augen noch Ohren für andere Dinge. «
» Ja « , pflichtete ich ihr bei.
» Überlass das mir, Anni. Ich finde es richtig, wenn du jetzt an dich denkst, und schicke dir monatlich einen Betrag, der für deinen Lebensunterhalt reicht. Wenn du willst, schreibe ich Selina, dass du ihr Angebot gern annehmen würdest. «
» Aber, Hoheit, nur für den Sommer. Danach möchte ich mich dem Voluntary Aid Detachment als
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