Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
erinnern, zu essen und zu trinken. Und auch daran, wieder aufzuhören.
Nachdem Pascale das Baguette verzehrt hatte, schlief sie in der Liege auf der Terrasse ein, eine der Katzen wärmte ihren Bauch. Emile deckte seine Frau zu und setzte ihr einen Strohhut auf, damit die Sonne ihr nicht das Gesicht verbrennen würde.
Emile bot Marianne weder ein Glas Wasser noch etwas zu essen an. Der Bretone sprach nicht ein einziges Wort mit ihr, auch nicht, als Marianne sich mit dem bretonischen kenavo verabschiedete.
20
D er Geburtstag von Oceane und Lysette schien sich erst zum Reinfall zu entwickeln. Ein Dutzend fünfjährige Mädchen, die im Ar Mor herumgetobt hatten, sich mit süßen Blutwürstchen vollstopften und ständig von Paul verlangt hatten, mit ihnen zu spielen. Garz, was sollte ein Opa wie er mit so kleinen Dingern spielen?! Bis Marianne die kreischenden Prinzessinnen kurzerhand zu Topfschlagen, Blindekuh und Eierlaufen auf den Quai gelockt hatte. Paul lachte auf, als er daran dachte, wie Jeanremys Küchenfee mit einer Kasserolle und einem Strauß Holzlöffel aufgetaucht war. Die Mädchen waren hingerissen gewesen, und Paul hatte in Ruhe eine Portion Jakobsmuscheln mit Cidreäpfeln essen können.
Nun war der Geburtstag fast vorbei, und er musste die Zwillinge nur noch überreden, ins Bett zu gehen.
»Kement-man oa d’ann amzer …«, begann er. »Dies ging in einer Zeit vonstatten, als die Hühner noch ihre Zähne hatten. Es war einmal ein tapferer kleiner Junge Namens Morvan, er wohnte hier ganz in der Nähe und wünschte sich nichts sehnlicher, als Ritter zu werden. Als er zehn Jahre alt war, da …«
»Nein, nein, nein! Ich will nicht die Geschichte von Morvan hören, die ist doof«, sagte Lysette.
Ihre Schwester Oceane nickte. »Ich auch nicht.«
»Willst du immer das, was deine Schwester will?«, fragte Paul.
Oceane hörte sich an, als ob sie einem Beutel Murmeln lutschte, als sie erwiderte: »Das ist doch wohl klar, Nono!«
Sie hatten es sich zu dritt auf der alten Hollywoodschaukel mit der zerschlissenen blauen Markise gemütlich gemacht. Lysette kniete links neben ihm und untersuchte sorgfältig die Haare, die aus Pauls Ohren wuchsen, während Oceane sich rechts neben ihrem grand-père auf der Sitzfläche zusammengerollt hatte, ihr Köpfchen mit den losen, hellbraunen Zöpfen an seinen Oberarm gelehnt, den gekrümmten Zeigefinger statt des Daumens im Mund. »Und ihr wollt nicht die Geschichte von Morvan Leiz-Breiz hören, der unsere Bretagne in die Unabhängigkeit führte?«
»Nein, Nono«, sagten Lysette und Oceane im Chor.
»Na gut. Wie wäre es dann mit den Schelmenstreichen von Bilz, dem lustigen Dieb aus Plouaret?«
»Doof!«, intonierte Lysette.
»Aber total«, sagte Oceane.
»Prinzessin Goldhaar, Prinz Kado und der verzauberte Ring?«
»Laaangweilig.«
»Ich kann nicht glauben, dass ihr all unsere wunderschönen bretonischen Geschichten nicht ein zweites Mal hören wollt.«
»Das muss jetzt sein, Nono«, sagte Lysette und zupfte an Pauls Ohrhaaren herum. Der ehemalige Fremdenlegionär hielt ganz still, während die Fünfjährige ihm mit großer Sorgfalt das halbe Ohr enthaarte.
»Was wollt ihr dann?«, fragte Paul.
»Die Geschichte von Ys«, bestimmte Oceane.
»Die von Dahud, der Meeresprinzessin.«
»Und dem Goldenen Schlüssel.«
»Und wie die Stadt im Meer kaputtging.«
Dahud. Die hatte es den Zwillingen angetan. Paul hatte ihnen die Geschichte der untergegangenen Stadt Ker Is in der Bucht von Douarnenez schon oft erzählt, dabei jedoch versucht, die pikanten Details von Fee Dahud wegzulassen. Vor allem die mit den nächtlich wechselnden Liebhabern.
»Kement-man oa d’ann amzer …«, begann Paul erneut. »Es war zu einer Zeit, als die Römer begannen, in Armorika Straßen zu bauen. Von Carhaix zum Meer bis in die Bucht von Douarnenez hinein führt noch heute eine dieser alten Römerstraßen. Doch diese alte Straße verschwindet im Meer. Sie führte einst zu der größten und schönsten Stadt der Welt, Ys, die manche auch Atlantis nennen.«
»Aber vielleicht haben die Römer ja auch nur den Fisch direkt vom Strand holen wollen?«, flüsterte Oceane ganz leise.
»Und was, wenn nicht?«, flüsterte Paul noch leiser zurück, und Oceane nickte atemlos.
»Der weise und mächtige König Gradlon hatte diese Stadt Ker Ys, die Stadt der Tiefe, für seine geliebte Tochter Dahud erbauen lassen. Prinzessin Dahud war die Tochter einer Fee, die der König einst sehr geliebt
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