Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
grüßten.
Für einen Augenblick hatte Paul Mariannes tieftrauriges Gesicht gesehen. Doch dann zeigte sie ihm wieder das Lächeln, mit dem sie ihn so bezaubern konnte. Sie war wie die Bretagne: Auch hier lauerte hinter jeder schönen Fassade ein Abgrund – mal ein freundlicher in der Gestalt Mariannes, mal ein hasserfüllter in der Nolwenns.
Paul fragte sich, was Marianne in sich versteckt hielt. Er gab Gas und winkte. Im Rückspiegel sah er, wie sich auf ihrem mädchenhaften Gesicht wieder diese seltsame Ferne ausbreitete, als ob sie etwas verloren hatte, aber nicht wusste, was.
Paul brauchte Ablenkung. Er rumpelte über den Hof Kerbuan, an Simons aufgebocktem Ruderboot vorbei, durch den Nutzgarten zur Hintertür. Simon saß auf der Türschwelle – die traditionell mit zwei Stufen ausgestattet war, um die zwergigen Trolle, die korrigans, daran zu hindern, ins Haus zu klettern – und rauchte.
»Salut. Dīs, Ziegenknochen«, sagte Paul, »Hast du was zu trinken?«
»Jung oder alt?«
»Irgendwas, das älter ist als ich.«
»Das wird schwer.«
Sie tranken die erste Flasche, einen Côtes du Rhône, schweigend, bis auf Dankesknurrer von Paul, als ihm Simon Baguette, gesalzene Butter und Pfeffer-Pâté auf einem Brettchen herüberschob. Wie immer ritzte Simon ein Christuskreuz in die Unterseite des Brotes.
Die zweite Flasche, ein Hermitage, verlieh Paul seine Sprache zurück.
»Evit reizhañ ar bleizi, Ez eo ret o dimeziñ«, stellte Paul fest – ich habe den Wolf gezähmt, als ich ihn heiratete. »Warum habe ich Rozenn nur genommen! Hätte ich das nicht, hätte ich sie nicht verlieren können. Ich bin so ein Schafskopf!«
»Tja. Da heul ar bleiz ned a ket an oan «, sagte Simon; aber das Schaf läuft nicht dem Wolfe nach. »Vor allem nicht, wenn der Wolf ein neues hat.«
Damit war der Liebeskummer von Paul wegen Rozenn zwar nicht geklärt, aber mehr zu sagen gab es dazu auch nicht.
Simon rollte galettes mit Ziegenkäse, Feigen und Butter zusammen, entzündete den Gasofen und schob sie hinein. Die Männer aßen sie fünf Minuten später direkt mit den Fingern. Besteck hielten sie zu dem Zeitpunkt für zu gefährlich.
»Bin ich zu alt dafür?«, fragte Paul dann bei der dritten Flasche; seine Konsonanten schwammen auf den roten Wellen in dem gespülten Senfglas davon.
»Wofür? Fürs Trinken? Dafür is man nie zu alt. Nur zu jung. Yar-mat. « Sie prosteten sich zu.
»Für die Frauen. Zu alt für die Frauen.« Paul strich sich über die Glatze.
»N’eo ket blev melen ha koantiri, A laka ar pod da virviñ«, antwortete Simon nach einer Weile – es ist nicht Blondhaar und Schönheit, das den Topf zum Kochen bringt. Er rülpste leise.
»Stimmt, es ist ja wohl der Charakter … oder so. Ich mag alle Frauen, die dunklen, die kleinen, die dicken, die hässlichen – aber keine will mich! Woran liegt das? Habe ich zu viel Charakter?«
»Du bist ihnen einfach zu schön, garz «, sagte Simon, und jetzt endlich war es so weit: Paul lachte.
Er lachte sein ganzes Elend mit Rozenn und Nolwenn heraus, und Simon stand schwankend auf. Als er zurückkam, hielt er einen Champagner in der Hand.
»Ganz jung. Minderjährig«, nuschelte er und stellte den Pol Roger vor Paul hin. Sie gossen den Champagner in frische Wassergläser.
»Auf den Boden spucken und Bretonisch sprechen verboten«, brüllte Paul im Kommandoton.
»Jawohl«, rief Simon, sie neigten sich zur Seite und spuckten auf die Küchenfliesen.
Als Paul sein Glas mit drei kräftigen Zügen geleert hatte, beugte er sich zu Simon. »Diese Marianne«, begann er.
»Hmm«, nuschelte Simon.
»Sie hat was an sich, dass man sich ganz jung fühlt. Als ob alles, was man denkt und fühlt, in Ordnung is. Weissu, was ich meine?«
»Nee.«
»Mir isses schon passiert, dass ich mich neben sie gestellt hab, als sie die Servietten auf der Terrasse in der Sonne bügelte, und ihr alles erzählt hab. Einfach alles.«
»Was hassu ihr denn alles erzählt?!«
»Von Rozenn und vom Krieg.«
»Und dann?«
»Dann hat sie was gemacht …«
Paul stand auf und legte Simon die Hand auf den Unterarm.
»Is ja irre.«
»Ich kann das nicht wie sie. Irgendwas ist dann aus mir raus. Ein Schatten. Ich weiß nicht. Und dann … tat es nicht mehr so weh. Sie hat was in den Händen.«
Simon nickte langsam. »Ich hab ihr vom Meer erzählt. Ich weiß nicht, warum. Sie hört mit dem Herzen zu. Ich komm mit dem Schiff rein, sie winkt aus’m Fenster. Niemand hat mir je gewinkt.
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