Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Schachtel, rieb es über die rauhe Fläche und führte es zitternd zu dem bretonischen Apfelbrand.
Die Tür zur Bibliothek knallte gegen das Regal mit der Gesamtausgabe von Montesquieu. Die Flamme des Streichholzes erlosch.
»Es ist ungeheuerlich! Sie hat versucht, mich zu erschießen!«
»Das war mein letztes Streichholz.«
»Dabei habe ich nur Pflaumenpudding gemacht, Monsieur, und zu ihr gesagt: Madame Pascale, reichen Sie mir den Zimt, bitte? Und was tut sie – sie will mich abknallen wie einen räudigen Hund!«
»Wie trinke ich jetzt den Lambig?«
»Wie können Sie das nur ertragen, Monsieur, all diese verfilzten, verlausten Tiere, diese dreibeinigen Köter und einäugigen Katzen, sie essen von den besten Tellern, Monsieur, c’est dégoûtant!«
»Haben Sie ein Streichholz, Madame Roche?« Er besah sich die Quelle dieses zeternden Lärms. Bei jungen Frauen ersetzt die Schönheit den Geist, bei alten der Geist die Schönheit. Aber bei Madame Roche ersetzte das eine Nichts nur ein anderes Nichts.
»Es ist gottlos, was in diesem Hause vor sich geht, gottlos!«
»Die Frömmigkeit entspringt dem Wunsch, um jeden Preis in der Welt eine Rolle zu spielen«, teilte Emile Madame Roche mit.
Madame Roches Mund schnappte zu wie eine Mausefalle. Braune spitze Augen, kein Tropfen Gemütswärme trübte ihren Blick.
»Ich kündige«, brachte sie nur noch hervor.
»Bon courage, Madame! Gehen Sie mit Gott und grüßen Sie Ihn, er kann ja mal bei uns vorbeischauen.«
Emile wartete, bis die schwere Eichentür am Vorderhaus ins Schloss gefallen war und sich die engen, kurzen Schritte über den Kies entfernt hatten. Ein bekanntes Geräusch.
Emile Goichon erhob sich aus dem alten Ledersessel und hinkte durch den langen Flur und das Wohnzimmer mit dem Kamin. Auf der Anrichte sah er die zerschossene Schüssel mit Sahne. Daneben den Zuckertopf, aus dem der Griff der Pistole herausschaute. Emile fand das Telefon in der Brotdose, das Brot im Wäscheschrank, die Handtücher fein säuberlich im Kühlschrank gestapelt. Streichhölzer fand er nicht.
Pascale saß in der Speisekammer, die Füße dicht an sich gezogen, schaukelte vor und zurück. Emile ließ sich mühsam auf dem kalten Steinboden neben seiner Frau nieder.
Er kannte Pascale nun sein ganzes Leben lang. Er hatte ihre Blüte, den zwanzig Jahre andauernden Höhepunkt ihrer weiblichen Stärke und Schönheit erlebt und jede Stufe genossen. Emile kannte jede Frau, die sie je gewesen war.
Er dachte an die scharfen Messer in der Küche. Er drehte die Gaszufuhr des Herdes nicht ab und verschloss auch nicht die Haustür. Er würde Pascale nicht damit entwürdigen, sie vor dem Leben und vor dem Tod zu schützen.
Der Tod, Ankou, war eine seltsame Sache. Emile hatte immer gehofft, er würde rechtzeitig das Leben so satt, haben, dass ihm der Gedanke an Ankou, zu dem jeder Weg führt, weniger schwerfiele.
Aber: nein. Emile wollte mehr denn je leben! Ihn ärgerten die Zeichen des Verfalls, die scharfe Kälte des Waldhauses, die schwindende Kraft, der Parkinson. Unglückliches Geschick! Kaum ist der Geist zu seiner Reife gelangt, beginnt der Körper dahinzuwelken.
Emile küsste seine Frau hinter ihr Ohr, so wie sie es mochte. Sie kicherte. Dann stand er mühsam auf und suchte eine Platte von Maria Callas; ihre Stimme war eines der wenigen Dinge, die zu Pascale durchdrangen, wenn sie sich weit in sich zurückzog.
Marianne war zutiefst erschrocken stehen geblieben. Auf dem Waldweg kam ihr eine wütende Frau entgegengestapft, mürrisch und zornig vor sich hin murmelnd. Sie würdigte Marianne keines Blickes.
Jetzt hörte sie Opernmusik aus dem Wald. Zögernd bewegte sich Marianne darauf zu. Nachdem sie eine Lichtung überquert hatte, erreichte sie ein wundervolles Anwesen mit mächtigen Laubbäumen, einer rebenumrankten Terrasse, Steingutfliesen, halbrunden Fenstern … Doch überall im verwilderten Gemüsegarten mit den ins Kraut geschossenen Kopfsalaten und den Rosenbüschen sprießte Unkraut.
Dann bemerkte Marianne zahllose Katzen, auf den Bäumen oder im kühlen Schatten, und Hunde, die in einer Ecke der kiesbestreuten Auffahrt lümmelten.
Marianne ging um das Haus herum, während die Stimme Maria Callas’ sich zu höchsten Kadenzen hinaufschraubte.
»Hallo? Jemand zu Hause?«, rief Marianne über die Arie hinweg.
Eine Frau kam auf sie zu. In den Händen hielt sie ein Tablett mit kleinen Tellern.
»Bonjour. Ich bin Ihre Flugbegleiterin für diesen Lufthansa-Flug von
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