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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Upton», rief Frank Phinney. «Wir haben gehört, du bist in der Stadt. Was ist denn los mit dir, Mädel, dass du nicht mit uns laufen gehst? Wir sind tödlich beleidigt, meine Kleine. Und wir sind uns nicht sicher, dass wir es schaffen werden, dir zu vergeben.»
    «Ach, hör nicht auf ihn. Tolle Frisur», fügte Johann Neumann hinzu. «Siehst gut aus, Wilhelmina.»
    Der kleine Thom Peters, mein Kinderarzt, hielt mir eine weiße Papiertüte hin, auf der kreisrunde Fettflecken zu sehen waren. «Wir haben Donuts mitgebracht», sagte er und lächelte zu mir hoch. «Ich versprech’s dir, dass wir Vi nichts sagen.»
    «Kumpels», erwiderte ich, schaute mir diese verschwitzten alten Männer in ihren Laufklamotten an, die Beine fast unanständig behaart in der milden Morgenluft. «Es ist wunderbar, euch zu sehen.»
    Es muss eine Stunde gewesen sein, die wir am Tisch saßen, aber schon begann ich einen Frieden zu verspüren, wie ich ihn nicht mehr empfunden hatte, seit ich an dem Tag nach Hause gekommen war, als das Ungeheuer gestorben war. Die Kumpels waren charmant wie immer, warteten mit allerhand Klatsch und Tratsch auf. Ich erfuhr, dass ein Baseballspieler, der es gerade ins Museum geschafft hatte, eine kleine Affäre mit einem sechzehnjährigen Mädchen gehabt hatte, worüber alle völlig ausgeflippt waren. Ich hörte, dass Laura Irving, Big Toms Tochter, vor drei Wochen durchgebrannt war und niemand wusste, wo sie sich aufhielt. Deshalb sah Big Tom auch so fleischig und schwer aus. Und ich erfuhr, seit ich nach Hause gekommen war, hätte ich nur«sauer, sauer, sauer» ausgesehen. «Alle haben das gesagt, also sind wir selber gekommen, um nachzusehen, ob es stimmt.»
    Das sagte Doug Jones, mein gut aussehender Englischlehrer von der Highschool. Er blinzelte mir zu und fügte dann hinzu: «Mir kommst du eigentlich gar nicht so wütend vor, Bloß traurig, finde ich.»
    Einen Moment lang saßen sie alle nur da, schauten und warteten darauf, dass ich etwas sagte. Dass ich ein Geständnis darüber ablegte, was mich dazu veranlasst hatte, nach Hause zurückzukehren. Ich zog kurz in Erwägung, ihnen von Primus Dwyer und meinen arktischen Abenteuern zu erzählen, von dem kleinen Klümpchen in meinem Bauch. Doch Tom Irving hatte mir für fünfzig Dollar meinen Wagen verkauft; Doug Jones hatte mich als Julia und Desdemona besetzt; Sol Falconer hatte mir fürs College Geld geliehen, und da er reich und kinderlos war, war es eine Anleihe, bei der ich nie Gefahr laufen würde, sie zurückzahlen zu müssen.
    Also schaute ich sie nur an und erinnerte mich an das erste Mal zurück, als die Kumpels und ich aufeinander aufmerksam geworden waren. Es war Juni gewesen und ich vier Jahre alt, und ich hatte irgendwie erfahren, dass die presbyterianische Kirche auf ihrem breiten Rasen eine Eisparty veranstaltete. Speiseeis hatte ich bislang nur ein einziges Mal gekostet; einer der männlichen «Freunde» meiner Mutter hatte mir auf einem langen Silberlöffel im Cartwright Café etwas zu probieren gegeben, als uns meine Mutter gerade den Rücken kehrte, und ich hatte es herrlich gefunden. Was auch immer ich über den Himmel wusste, hier war es, auf meiner Zunge: süß und weich und kühl und voll überraschender Stückchen von Nüssen und Früchten.
    Und so lief ich an dem Nachmittag, als es Eis gab, von Averell Cottage weg, was leicht zu bewerkstelligen war, weil meine Mutter gerade das Esszimmer weißelte und das Haus einfach viel zu groß war, um immer hören zu können, was eine eher stille Vierjährige so trieb. Ich ging die Straße hoch, schlenderte am Kühnen Dragoner vorbei und stieg den langen Hügel zur Kirche hoch. Obwohl Frank Phinney auf mütterlicher Seite Jude war, Johann Neumann evangelisch und Thom Peters katholisch, waren alle Kumpels mit ihren Familien anwesend, denn die Eisparty war eine Institution in Templeton, und kein Klatschmaul, das etwas auf sich hielt, konnte ihr fernbleiben.
    Ginger «Papa Gin Stone» Averell
März 1862
Aufgenommen in Telfers Fotostudio in Templeton, zeigt dieses Konterfei Ginger in Frauenkleidern. Sie muss die armen Fotografen reichlich schockiert haben, als sie an einem Tag dort aus dem Nichts auftauchte und am nächsten wieder verschwand. Man fragt sich, warum sie sich dazu entschlossen hatte, sich als Frau porträtieren zu lassen, denn fast drängt sich der Eindruck auf, sie hätte einen wesentlich attraktiveren Mann abgegeben.
    Eines hatte ich mit meinen vier Jahren bereits begriffen: Wenn

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