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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Parodie auf Wanderkleidung aussah: eine große Fleeceweste sowie zu kurze Shorts, die den Blick auf staubige Schenkel voller bläulicher Venen freigaben. Seine roten, haarigen Zehen schraubten sich aus jener Art von Sandalen, die aussehen, als wären sie aus Reifen und alten Keilriemen gemacht. Und natürlich wurde dies alles noch gekrönt von dem großen Eisenkreuz, seinem ganz persönlichen Mühlstein. «Willie», sagte er. «Schön, dich wiederzusehen.»
    «Yeah», erwiderte ich. «Na gut dann. Bis später.»
    «Warte mal», rief meine Mutter, als ich versuchte, mich zu verdrücken. «Ich hab John eingeladen, damit wir alle zusammen schön frühstücken können, bevor ich für den Rest des Tages in die Heia gehe. Was sagst du, Willie? Wie wär’s mit
huevos rancheros
?» Vi schob sich eine Strähne ihres fettigen Haares hinters Ohr und versuchte, ganz aufgeräumt und eifrig zu wirken.
    Doch ich schaute zu Reverend Milky und sagte: «Nein danke, Vi. Ich glaube, ich verzichte. Bin gerade nicht besonders hungrig.» Doch den ganzen Weg nach oben schwebte das Gesicht meiner Mutter vor meinem inneren Auge, so wie es ausgesehen hatte, flach und enttäuscht, und ich drehte rasch ein paar Runden in meinem Zimmer,bevor ich wieder hinabstieg. «Aber ich nehme gern einen Kaffee», sagte ich und setzte mich an den Tisch, der heiligen Milchflasche gegenüber. Als meine Mutter auf dem Weg zur Küche an mir vorbeikam, schenkte sie mir ein solch inniges Lächeln der Erleichterung, dass ich einen Moment lang richtig Freude daran hatte, in das teigige kleine Gesicht des guten Reverend zu schauen.
    «Also», sagte ich, während meine Mutter in der Küche herumwuselte.
    «Also», pflichtete er mir bei.
    «Gehen Sie zum Wandern?», fragte ich.
    «Das tue ich, jawohl», sagte er. «Wie ich höre, bewegen Sie sich auch gerne auf Schusters Rappen vorwärts?»
    «Früher ja», antwortete ich. «Dann bin ich nach San Francisco gezogen. Die Berge sind dort nicht sehr weit entfernt, aber man steckt dermaßen tief im Stadtleben, mit all seiner Aufregung und Hektik, dass man sich wirklich glücklich schätzt, wenn man ab und zu die Gelegenheit hat, ins Gebirge zu fahren und ein bisschen herumzulaufen. Um ehrlich zu sein, habe ich so wenig Zeit, dass ich es kaum mehr schaffe.»
    Er sah so aus, als hätte ich ihn enttäuscht, und sagte: «Aber Gott hat uns doch diese schöne Erde geschenkt, damit wir unseren weltlichen Kummer vergessen.»
    Ich sagte nur: «Hm», um meiner müden Mutter willen, die sich jenseits des Türrahmens in der Küche zu schaffen machte, anstatt ihn darauf hinzuweisen, dass die Erde ja dasselbe ist wie die Welt und er nur Kokolores redete. Und das war dann auch alles, was wir uns zu sagen hatten – er, der Bibelwichser, und ich, die uneheliche Hurentochter –, ehe Vi mit dem Teller in der Hand zurückkam und irgendetwas über Flimmy plapperte. Nachdem sie gebetet hatte und während wir uns durch die scharf gewürzten Eier kämpften – ich musste feststellen, dass ich doch ziemlichen Hunger hatte –, redete und redete sie über Wunder und Ungeheuer, über paradoxe Kreuzungen aus Fischund Säugetier. Und ich schaute sie an und sah das größte Paradox meines Leben: meine großartige, stolze Mutter, die die Hand eines Typen hielt, den sie noch vor einem Jahr nicht einmal mit dem Allerwertesten angeschaut hätte.
    Ich werde nie,
gelobte ich dem Klümpchen und sah dabei meine Mutter an,
so einsam sein, dass ich mich aus reiner Verzweiflung mit Männern verabrede.
Möglicherweise hatte meine Mutter ja den Geist des Mitleids über mein Gesicht huschen sehen, denn ihre Augen wurden schmal, und sie schaute mich einen Moment lang streng an. «Wie geht’s Cinnamon und Charlotte?», wollte sie wissen. «Machen sie Fortschritte?» Ich wusste, was das bedeutete:
Wenn du nicht nett sein willst, dann kannst du gleich die Flatter machen, verwöhntes Balg
, und ich stand erleichtert auf.
    «Danke für das Essen, Vivienne. War wirklich nett, Sie wiederzusehen, Reverend. Hoffentlich haben Sie eine schöne Wanderung. Und werden von keinem Bären gefressen», sagte ich. Als ich schon halb durch das Esszimmer war, hörte ich seine besorgte Stimme sagen: «Hat mir nie jemand gesagt, dass es hier Bären gibt», und war, als ich mich oben wieder an meine Briefe setzte, immer noch am Feixen. Der Geist war wieder erschienen und pulsierte als kleiner lila Knoten in der Ecke des Spiegels. Ich sagte: «Jetzt geht’s weiter» und wandte mich dem

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