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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Ach, Cin, du weißt doch, warum wir hier sind. Spielst immer die Unschuld vom Lande, stimmt’s? Ach, Cin, Cin», sagte sie. Bis zu diesem Moment, ich schwöre es, hatte ich nicht begriffen, was ihr Besuch zu bedeuten hatte, aber dann passte plötzlich alles zusammen – die bunten Kleider, das Parfüm, die liederlichen Sitten der Mädchen, der Junge in Mädchenkleidern. Ich fürchte um Ihre Unschuld, Charlotte, doch ich muss es Ihnen sagen – um
ganz offen zu sein, sie waren gekommen, um hier ein Freudenhaus zu eröffnen.
    «Oh, Ginger», stöhnte ich, «du willst mich also erpressen?» Ich dachte, sie wolle Geld von mir, damit sie wieder wegging. Doch sie lachte nur, ihre Augen traten aus den Höhlen, und sie sagte: «Eine gute Idee, wirklich. Aber nein, du könntest mir nie und nimmer so viel geben, wie wir von selber verdienen können. Wir bleiben hier.» Ich spürte, wie mir flau wurde – ich schaute die Mädchen an und sah, wie eine von ihnen eine Laus fing, die ihr über die Wange kroch, und sie unter dem Fingernagel zerknackte.
    «Bleiben?», fragte ich. «O nein, Ginger.»
    «O doch», erwiderte sie. «Eine goldrichtige Gelegenheit. Meine Mädchen, die haben keine Lust mehr darauf, irgendwelchen Armeen hinterherzuziehen – zu viel Konkurrenz, und zu viele tote Jungs, die wir gesehen haben. Und Krankheiten auch. Nein, wir haben erfahren, dass Templeton eine Durchgangsstation für die Regimenter hier oben ist, und zusammen mit den ganzen reichen Jungs von der Akademie und mit dem neuen Hotel am Ende der Front Street für die Gesundheitsbesessenen ist die Stadt im Kommen. Und wenn Leute hierherströmen, fließt auch Geld. Hab am Mississippi ein paar Tricks gelernt und werde irgendwann einen Billardsalon eröffnen, Kartenspiel und so weiter. Nein, wir bleiben hier. Geh uns jedoch aus dem Weg. Um uns brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich nenn mich jetzt Papa Gin Store – niemand wird mich mit dir in Verbindung bringen.»
    Und dann ließ dieser unnatürliche Junge in seinem grünen Mädchenkleid seine Wimpern flattern und sagte: «Wir verhalten uns bestimmt ganz ruhig, Madam, still wie Kirchenmäuse. Keiner wird erfahren, dass wir je hier waren.»
    Ginger strich dem Jungen nur über die Wange und sagte: «Das ist richtig, mein Lieber. Wir bleiben bloß heute, über Nacht. Am Morgen sind wir schon wieder weg.» Und dann fing die Dicke, der das Kinn bereits auf die Brust gesunken war, zu schnarchen an, und die anderen
standen auf und rollten ihre Decken auf dem Boden aus. Und am nächsten Morgen war meine Schwester tatsächlich weg, ebenso wie mein komplettes Familiensilber und das Haushaltsgeld für den gesamten Winter, das ich in einer Dose in der Speisekammer aufbewahrt hatte.
    Ich weiß nicht, was ich tun soll, Charlotte. Es ist Morgen – ich trage immer noch die Kleidung von gestern Abend – Marie-Claude ist zurück und murmelt französische Flüche vor sich hin, während sie noch einmal den Boden schrubben muss – ich weiß einfach nicht, was ich tun soll. Bitte, bitte helfen Sie mir mit Ihrer Klugheit und Ihrer Diskretion. Bitte verraten Sie es keiner Menschenseele. Sagen Sie mir, was ich tun soll. Und vergeben Sie mir, dass ich keine Abschrift mehr gemacht habe – meine Hand schmerzt –, aber ich muss Ihnen dies gleich schicken, sonst verliere ich den Verstand. Ich weiß, dies ist alles übereilt – ich bitte Sie nur um Ihre Hilfe.
    Ihre Freundin in Not

Cinnamon
    ***
    Averell Cottage, Templeton
Weihnachtstag 1861
    Meine liebste Charlotte,
Sie sind ein Engel. Was hätte ich bloß ohne Sie gemacht? Sie haben mir so viel Trost gespendet in diesen dunklen und schrecklichen Tagen, vielleicht sogar auf Kosten Ihrer Romanze mit dem lieben Franzosen. Nicht einmal die Zeit für Ihre gewohnten Spaziergänge mit ihm hatten Sie. O ja, Sie haben mich beruhigt, haben sich um mich gekümmert. Sie haben recht – ich muss Geduld haben – ich bin nicht meiner Schwester Hüterin – der Herr wird sie einst richten, nicht ich.
    Charlotte, ich glaube wirklich, ich hätte mir etwas angetan, wären Sie nicht über den zugefrorenen See geeilt und den Rasen hoch, um mir zu Hilfe zu kommen. Und Tag um Tag zurückgekehrt, bis ich wieder ruhig war. Ich habe die Tinktur genommen, die Sie mir wieder geschickt haben, und nun bin ich schläfrig, doch bevor ich einschlafe, schicke ich Ihnen noch rasch dieses Geschenk. Ich habe Aristabulus Mudge geschrieben und es ihn für mich anfertigen lassen – es ist ein Liebestrank,

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