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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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steigen und mich zu den anderen gesellen. Ich würde auf ihren Straßen gehen, in ihr Leben hinein, und sie würden sich mir zuwenden. Und die Damen würden erstaunt in die Hände klatschen, und die Männer würden mich in ihre starken Arme schließen, und die Kinder würden im Kreis um mich herumlaufen, und alle würden stehen bleiben und lächeln. Sie würden die Hände ausstrecken; sie würden mich berühren. Ich würde weitergereicht werden wie ein Säugling, von einem zum anderen, und alle Menschen in Templeton berühren. Und dann, endlich, würden mich alle willkommen heißen.

Ruhm im Scheitern
    Aus irgendeinem Grund fiel es mir eine Weile schwer, in die Bibliothek der New York State Historical Association zurückzukehren. Wann immer ich mir vorstellte, auf Peter Lieder oder Zeke Felcher zu treffen, überkam mich eine seltsame Schüchternheit, was dazu führte, dass ich nur selten überhaupt dazu zu bewegen war, das Haus zu verlassen. Statt mich weiter mit meinen Nachforschungen zu beschäftigen, telefonierte ich stundenlang mit Clarissa. Sie erzählte mir, dass Sully immer weniger mit ihr rede, dass der Lupus durch ihre experimentelle Therapie langsam im Rückgang begriffen sei, berichtete von einem Auftrag, den anzunehmen sie sich stark genug fühle. Ich erzählte ihr von Primus, von dem Klümpchen, das in mir wuchs, dem Vater, der sich irgendwo in Templeton versteckt hielt wie in einem von diesen Büchern, wo man endlos in Menschenmengen sucht, ehe man den kleinen Mann in dem rot gestreiften Hemd bemerkt, der einem zuwinkt. Wir redeten, bis sie einschlief oder ein kleines, ungeduldiges Lachen von sich gab und sagte: «Willie, Liebes, du musst wirklich nicht den ganzen Tag mit mir reden, weißt du. Ich meine, ich bin nicht allein. Ich lese, ich schlafe, ich hab meine Soaps.»
    Außerdem las ich wieder und wieder Cinnamons und Charlottes Briefe, bis ich die Augen vor einer deutlichen Wahrheit nicht mehr verschließen konnte: Diese beiden Frauen konnten, so seltsam sie auch waren, nicht die Vorfahrinnen meines Vaters sein. Als ich schließlicheines Tages meine Mutter danach fragte, saß sie in ihrem antiken Rohrsessel und lackierte sich gerade die Fußnägel in einem baptistischen Weiß. Sie blickte nicht auf, als sie sagte: «Na, lang genug hast du gebraucht, Williekins. Schluss, aus, Amen. Höchste Zeit, den nächsten Schritt anzugehen.»
    «Guvnor Averell?», sagte ich und verzog das Gesicht. Ob Cinnamon nun wirklich alles, was ihren Vater betraf, erfunden hatte oder nicht, jedenfalls war er ein beängstigender Mann, wie er da auf seinem Porträt an der Wand unseres Flures eiskalt und streng in die Welt hinausschaute, das eine wandernde Auge finster auf den Betrachter gerichtet. «Jacob Franklin Temple?»
    «Gute Arbeit», sagte sie. «Mach dich dran. Versuch’s mit beiden. Du musst bald wieder bei Clarissa sein. Und die Uni», sagte sie, steckte den Nagellackpinsel auf die Flasche zurück und schüttelte sie, «beginnt in gerade mal zwei Wochen. Ich hab im Internet gelesen, dass du ein Überblicksseminar hältst. Gratuliere. Du gehst also wieder zurück.»
    Ich stand in der Tür, die Arme verschränkt, und schaute sie an. «Vi», sagte ich. «Das wäre auch so, wenn ich nicht ein klitzekleines Problem hätte. Ein kleines Kind, das ernährt und großgezogen werden will. Stimmt’s?»
    Jetzt endlich hob Vi den Blick und sah mich mit gerunzelter Stirn an. «Endlich», sagte sie, «fragst du mich mal um meine Meinung. Na gut, Willie, ich werd’s dir sagen. Tut mir leid. Du kannst das Kind einfach nicht kriegen», sagte sie.
    Im Sonnenlicht, das meiner Mutter auf den Kopf schien, wirkten ihre ergrauenden Haare ganz hart, wie Draht. Sie blickte nach oben und schaute mich an, während ich Luft holte. Ich tat einen Schritt in den Raum hinein und sagte: «Das kann nicht dein Ernst sein. Du bist doch so fromm. Wie kannst du dann eine Abtreibung befürworten?»
    «Was ich befürworte», sagte Vi, «ist eine verantwortungsvolle Elternschaft. Du bist in keiner Weise bereit für dieses Kind. Und noch einungewolltes Kind braucht die Welt nicht. Ja, ich bin fromm», sagte sie und baute sich vor mir auf. «Aber ich hab auch gesunden Menschenverstand und weiß als Krankenschwester, wovon ich rede. Im ersten Drittel der Schwangerschaft ist das alles halb so wild. Der Fötus ist allein nicht lebensfähig. Ich würde dir empfehlen, ihn schnell loszuwerden, und wenn du später bereit dazu bist, kannst du immer noch ein Kind

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