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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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wurde.
    Während meines zehnten Jahres wagte ich mich zwanzig Schritte in Richtung des Sees vor, der wogte und mir ein Lied sang. Der Wind packte mich, ließ mich wieder los. Mich hungerte nach seiner Haut auf meiner Haut. In den Wäldern sah ich die Insekten, die trunken aneinanderklebten, und ich staunte. Die Welt draußen fühlte sich reich an, voller Möglichkeiten. Drinnen hingegen war eine seltsame Schwere, die die Luft aus meinen Lungen hielt.
    Während meines elften Jahres ging ich den ganzen Weg zum See hinunter und spürte, wie das warme Wasser des Ufers über meine Füße schwappte, spürte das zarte Knabbern der Elritzen an den Härchen meiner Knöchel und weinte fast bei der Berührung. An jenem Tag watete ich bis an die Knie hinein und war so erschrocken von meinem eigenen Wagemut, dass ich es nicht mehr tat bis zu meinem zwölften Jahr, als mir mein Rehlederhemd spannte, als meine Haut an bestimmten Stellen manchmal heiß wurde und als Davey ganz damit aufhörte, mich anzusehen. Wilde Leidenschaft erhob sich in mir; ich suchte nach seinem Blick, stellte mir vor, was geschehen würde, wenn ich während des langen Winters unter seine Decke schlüpfte. Und dann schaute ich meinen Großvater an und dachte beschämt an andere Dinge.
    Die Schlechtigkeit in mir wuchs, wurde hart. Einmal, als mein Großvater seine Münzen vom Verkauf der Körbe nach Hause brachte, nahm ich eines der glänzenden Dinger und vergrub es unter einer Kiefer. Ich machte eines von Daveys Messern stumpf, einfach so, weil ich es konnte. Ich zog mein Rehlederhemd aus und schlief den ganzen Nachmittag lang nackt, bis ich von Schritten aufwachte und mich hastig anzog.
    Als es schließlich unerträglich wurde, ging ich in die Welt hinaus, und an jenem Tag fühlte ich alles, die Sonne, die Felsen, die kleinen Tiere in den Bäumen, die mich beobachteten. Ich ging zum See hinab und stieg hinein, bis das Wasser über meinen Kopf hinwegschwappte, sah, wie mein Haar sich auf der Oberfläche ausbreitete, wie es in dem grünlichen Licht da unten wogte und sich verflocht, wie die Nissen der Läuse nach oben stiegen wie kleine Blasen.
    An jenem Tag, als ich hinausging, sah ich in der Ferne kleine Menschengestalten, die sich auf den Straßen der Stadt bewegten. Ich quetschte mich zwischen die Felsbrocken an der Straße und beobachtete aus meinem Versteck heraus die Damen mit ihren eingezwängten Taillen, die seitlich auf ihren Pferden saßen, sah die Männer, die im Galopp Staub aufwirbelten wie Federbüsche. Ich sah eine Mutter mit ihrem Sohn auf dem Arm, sah eng umschlungene Liebespärchen, sah, wie sie sich die Hände drückten, als sie an mir vorbeikamen; und spürte es jedes Mal am eigenen Körper, wenn sich die Menschen berührten. Ich liebte sie alle, diese Menschen. Ich liebte es, sie zu beobachten, stellte mir ihre Worte vor, weich und formlos in meinen Ohren, doch am meisten liebte ich die Männer. Den mit dem Buckel und dem freundlichen Gesicht, den Dicken, Haarigen, den einsamen kleinen Jungen mit der Nase wie eine Nadel, der mit sich selber sprach, und den Großen, der auf dem Kopf rote Streifen im gepuderten Haar hatte, dort, wo der Hut sich eingedrückt hatte.
    Ich lief rasch nach Hause, spürte, wie die Schlechtigkeit in mir wuchs. Ich sah meinen Großvater vor mir, sein trauriges Gesicht, aber das hielt mich nicht davon ab zu lachen, während ich nach Hause lief. Die Hunde begrüßten mich, ihre kalten Schnauzen angenehm an meinen Beinen. Die Hütte kam mir weniger vor als nichts.
    Den ganzen Nachmittag lang saß ich über der Bibel und ließ mich im Strom der Wörter treiben, damit die Stunden vergingen. Wie ein Fenster waren die Wörter für mich, wie das Licht selbst, und wenn ich durch sie hindurchschaute, sah ich meine Mutter. Noch während ichdasaß, das Buch in den Händen, während der Wind hinter dem Fenster leise in den dünnen Blättern raschelte, wusste ich, dass ich wieder zum See hinabgehen würde. Ich würde mich wieder dort ans Ufer stehlen, würde nackt ins Wasser steigen. Ich würde das Gesicht meines Großvaters aus meinen Gedanken verbannen. Die Fische würden geschmeidig und glatt an mir vorbeigleiten, die Aale würden an meinem Haar knabbern. Das Seegras würde sich unter meinen Füßen teilen; und das Licht würde flackern, wenn es sich seinen Weg durch die Tiefe bahnte. Weiter und weiter würde ich hineingehen, bis ich am felsigen Untergrund der Stadt angelangt sein würde. Hier würde ich aus dem Wasser

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