Die Monster von Templeton
kriegen. Tut mir leid, wenn das deine Gefühle verletzt oder nicht das ist, was du von mir hören wolltest», sagte sie. «Aber ich hab dich lieb, ebenso wie jedes zukünftige Kind, das du zur Welt bringen wirst. Und das ist das Beste für uns alle.»
«Wow», machte ich. «Wow. Wer hätte das gedacht.»
Meine Mutter hielt einen Moment lang meinem Blick stand, runzelte dann die Stirn und sagte: «Glaub bloß nicht, das hier hätte was mit dir und meiner Situation zu tun, als du auf die Welt kamst, Sunshine. Damals hatte ich gar nichts, und du warst das Beste, was mir je passiert war. Ich hab jede Menge Drogen genommen, hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr und lebte ein schreckliches, ungesundes Leben. Du dagegen hast alles. Ich hab mein ganzes Leben gearbeitet, um dir alles zu geben, und du auch. Jetzt ein Baby zu kriegen wäre das Schlimmste, was dir momentan passieren könnte.»
«Das muss ich selber beurteilen», sagte ich, aber ich fand, dass das nicht sehr überzeugend klang. «Es ist einzig und allein meine Entscheidung.»
«Stimmt. Ich kann einen Termin für dich ausmachen», sagte sie und tätschelte mir den Arm. «Ich kann dich dazu drängen, das zu tun, was am besten ist. Aber die Entscheidung kann ich nicht für dich treffen, mein Schatz. Das musst du schon selber machen. Sag mir, wie ich dir helfen kann.»
In dem Moment verließ meine Mutter den Raum, und es fühlte sich an, als wäre damit auch ein winziger, aber anhaltender Druck von mir gewichen. Die ganze Zeit, seit ich zu Hause war, hatte ich mich vor dieser Konfrontation gefürchtet; ich hatte Angst vor meiner eigenenEntschlossenheit gehabt, das zu tun, von dem ich wusste, dass es das Beste war. Es stimmte, dass ich irgendwo tief in meinem Inneren das Klümpchen behalten wollte, dass ich dieses quäkende neugeborene Etwas in meinen Armen halten und zuschauen wollte, wie daraus ein richtiges menschliches Wesen wurde. Ebenso stark war jedoch mein Wunsch, es loszuwerden. Die eine Handlungsweise war unverantwortlich, unlogisch, vollkommen falsch; die andere war so richtig, dass sie ihre Richtigkeit laut hinausschrie, bis ich mir die Ohren zuhielt. Als ich aus dem Zimmer ging, erhaschte ich einen Blick auf mein Gesicht im Spiegel und sah, wie abgespannt und krank ich aussah.
Also wappnete ich mich und trat mit meinem Notizbuch und Füllfederhalter in den herrlichen August von Templeton hinaus. Ich würde mit meiner eigentlichen Arbeit weitermachen. Und dann, wenn ich nach Hause kam, würde ich meinen Arzt anrufen und ihn um einen Termin bitten. Es würde ganz einfach sein, Augen zu und durch. Ein kleiner, sauberer Eingriff. Ich würde meinen Vater finden. Ich würde meinen Klümpchenstatus beenden. Dann würden es nur noch mein gebrochenes Herz und dieser gemeine Scheißkerl Primus Dwyer sein, um die ich mich kümmern musste.
Doch die Dinge geschehen nicht immer so wie erwartet, und wie die Heldin in einem Märchen wurde ich auf meinem etwa achthundert Meter langen Fußmarsch zu Franklin House dreimal angehalten.
Beim ersten Mal handelte es sich um ein rotes Cabrio, das langsam die West Lake Road hochkam. Darin saßen drei Operndiven, die gerade einen improvisierten Arienwettbewerb austrugen, um festzustellen, welche von ihnen am lautesten singen konnte.
«Il destin così defrauda, le speranze de’ mortali»,
sangen sie, lauter und lauter. «
Ah, chi mai fra tanti mali, chi mai può la vita amar?»
Ihr Gesang auf jener sonnigen Landstraße war so überwältigend, dass ich stehen blieb und das Gefühl hatte, mein Herz zerspringe wie ein Kristall, doch es setzte nur einen Schlag aus. Welch reine Vollkommenheit,welch schiere Herrlichkeit! Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, und dann hörten die Frauen auf zu singen, lachten miteinander und fuhren weiter. Übrig blieben eine hübsche Jersey-Kuh und ich, die in dem summenden Morgen standen und sich mit verträumten Gesichtern anschauten.
Ich hielt den Moment noch immer in meiner Magengrube fest, als ich an den Steintoren des Country Clubs vorbeikam und sah, dass dort neben der großen, gelben Taucherkugel mehrere Menschen in Taucheranzügen standen, glatt wie Seehunde, und in eine Karte schauten, die am Boden lag. Sie sahen aus wie Krähen, die sich über Aas beugen. Ich dachte daran zurück, wie ich meine Hand an die eiskalte, wie mit Pfirsichhärchen überzogene Haut des Ungeheuers gelegt hatte, und spürte, wie mich eine unbändige Trauer überkam.
Die letzte
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