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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Haut hungerte nach menschlicher Wärme. Dunkelheit und der süße Rauch von Daveys Pfeife, Daveys seltsames, nach innen gekehrtes Lachen, die Kräuter meines Großvaters, die an der Decke trockneten. Bei Tage allein in der Hütte, das Geräusch der Stadt unter uns ein Traum, das Summen von etwas Lebendigem, das ich nicht sehen konnte, nach dem ich mich jedoch sehnte. Das Nachher war ein neues Hemd aus Rehleder pro Jahr, mein Großvater, der die Ahle beim Licht des Feuers hineinstach und wiederhinaus, während die Hunde schnarchend am Feuer lagen. Seine Hände, so flink wie Vögel, wie sie webten und nähten und rührten. Der Mond wie eine schimmernde Schnalle über dem See. Sehnsucht nach der Farbe des Himmels. Eine Hütte, die ich nicht verlassen durfte. Meine Stille.
    Der See, glatt und sprechend, unendlich viele helle Glitzerpunkte in meinem Auge.
    Zwischen dem Vorher und dem Nachher war eine Geschichte, die mein Großvater wob, Strang um Strang. Er erzählte sie während der langen Nacht, im Feuerrauch, ganz leise, und sie begann mit diesen Worten: Dein Vater, meine kleine Lerche, war Häuptling Unkas, deine Mutter war Cora Munro. Jahrelang wurde dein Stamm bedroht von den Siedlern im Seenland des Westens. Langsam kamen die Siedler näher mit ihren Gewehren, und dein Stamm musste oft weiterziehen, um nicht gefunden zu werden.
    Eines Tages, sagte mein Großvater immer, wurdest du gefunden.
    Es war der Herbst, als Davey und mein Großvater den See verließen, um nach Westen zu ziehen, nach meiner Familie zu suchen und ihre letzten Tage mit dem Stamm zu verbringen. Doch an jeder Feuerstelle, an die sie kamen, war die Asche noch warm, hing der Geruch nach Körpern in der Luft. Bei der letzten Feuerstelle, zu der sie kamen, waren sie um Stunden zu spät, und alles schwelte, war mit Schnee bestäubt. Kleine Kinder steckten auf Bajonetten wie aufgespießte Fasane. Die Köpfe von Squaws blickten aus drei Schritten Entfernung auf ihre eigenen Körper. Mein Vater und meine Mutter waren beide nackt, verkohlt, eng umschlungen. Sie erkannten Unkas nur an dem Tomahawk, der zwischen seinen Schulterblättern steckte, Cora nur am Siegelring ihres Vaters, den sie mit der Hand umklammert hielt.
    Mein Großvater spürte, wie das Leben aus ihm wich, als er sie erblickte. Er weinte und Davey auch. Sie hoben in dem harten, gefrorenen Grund ein Loch aus und begruben alle.
    Später, im Dunkeln, sang mein Großvater gerade für die Seelen derToten, als sich am Rande des Feuerscheins etwas bewegte. Das war ich, nackt und blau, Blut klebte an meinem Gesicht, meinen Beinen, während ich auf die Wärme zusprang. Mein Großvater sah meinen Vater in meinen Augen, meine Mutter in meiner Gestalt. Er war wie versteinert vor Schreck und spürte doch, wie das Leben wieder in ihm aufflammte. Ich streckte meine erfrorenen Finger nach der Bisamratte aus, die auf dem Feuer brutzelte, und steckte mir eine Handvoll rohes Fleisch in den Mund. Als mein Großvater es herausholte, konnte er nicht sagen, was Fleisch war und was Zunge. Beides war roh und blutig. Mir fehlte die halbe Zunge. Ich war vier Jahre alt.
    Sie kehrten nach Templeton zurück, und da sie meinen Namen nicht kannten, nannten sie mich Namenlos, bis sie einen richtigen Namen für mich finden würden. Ich konnte ihn ihnen nicht sagen, denn ich war ohne Sprache. Sie fanden nie einen anderen. Sie behielten mich drinnen, weil Frauen in jener Gegend selten waren und ein Wilder kaum als Mensch galt. Sie sagten, es sei kaum auszudenken, was die nach Frauen ausgehungerten Siedler mir antun würden, wenn sie mich allein anträfen, selbst einem Mädchen, das so klein war wie ich. Stundenlang überlegte ich mir, was sie damit meinten, bis ich es eines Tages einfach wusste.
    Aber ich erinnerte mich an jene Nacht. Doch während meines Großvaters Geschichte wie ein gewebtes Tuch war, war die meine wie ein dunkles Stück Erde, das in einem Sommergewitter von Blitzen erhellt wird. Von der letzten Nacht mit meiner Mutter und meinem Vater erinnere ich mich an die Kälte, an die Stille, in der wir unseren Ruheplatz fanden und begannen, unser Lager aufzuschlagen. Wie ich mich mit dem Buch meiner Mutter davonstehle, um es mir anzuschauen, während sie mit den anderen Squaws spricht. Mein Vater, der Ausschau hält, einen Schrei ausstößt, aufspringt. Und dann der Aufruhr, Pferde und Männer, lautes Rufen, Blut; ein Siedler, der sich auf mich stürzt, der kalte Boden an meinem Rücken, Schmerz, und dann

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