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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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reglos in der Luft schweben, als hätten sie sich erschreckt. Vielleicht, dachte ich, ging mein Vater ja auf Hazel Pomeroy zurück. Vielleicht täuschte ich mich, was George anging, vielleicht hatte er ja doch mit anderen Frauen herumgemacht. Vielleicht saß ich ja gerade meiner leibhaftigen Großmutter gegenüber.
    Doch schließlich sah Hazel mit einem kleinen krächzenden Aufschrei den Ausdruck auf meinem Gesicht und sagte: «Nein, wirklich nicht, Liebes. Ich war erst sechzehn, als er Ihre Großmutter vor den Traualtar geführt hat. Ich war nur ein dummes junges Ding. Eines Sommerskam er aus Yale zurück und war der begehrteste Junggeselle der Stadt. Doktor der Geisteswissenschaften, ein Temple, Sohn von Sy Upton, nicht hässlich, was will man mehr. Er lud mich auf einen Sundae bei Druper’s Five-and-Dime ein, und ich dachte, das bedeutet, wir wären verlobt. Ich hab’s allen erzählt. Dumm gelaufen, denn nur eine Woche später erfahre ich, dass er Ihrer Großmutter einen Antrag gemacht hatte. Uns alle, die ganzen Mädels am Ort, traf es wie aus hei terem Himmel. Weil sie damals schon eine alte Dame war. Achtundzwanzig Jahre alt und nicht gerade ein Hingucker. Nichts für ungut, ich weiß, dass sie zu Ihrer Familie gehört, aber sie war hässlich wie die Nacht, und er war zehn Jahre jünger als sie. Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, wie sie ihn sich geangelt hat. Später hab ich dann herausgefunden, dass er sie gar nicht
ihretwegen
geheiratet hat. Er hat sie geheiratet, weil sie mit dieser lebenslustigen alten Sklavin Hetty Averell verwandt war, wegen deren Familie. Soll heißen, auf eine seltsame verdrehte Weise hat er sie im Interesse seiner Familie geehelicht, damit die Averells und die Temples zusammenkommen. Mir hat es das Herz gebrochen, und ich war einen Monat lang untröstlich. Seltsam, wenn man jung ist, denkt man, man stirbt an Dingen, über die man nur noch mit der Zunge schnalzt, wenn man alt ist.»
    Ich hätte gedacht, Hazel habe das ganz unbedarft gesagt, in der etwas geistesabwesenden, lieben Art von alten Leuten, die das Bedürfnis haben, ihre Sehnsucht nach früher an andere weiterzugeben, wäre da nicht der durchtriebene Ausdruck in ihren Augen gewesen. Ich fragte mich, wie viel sie von den Gründen erahnte, weshalb ich nach Hause gekommen war. Ich wich ihrem Blick aus.
    «Jedenfalls», sagte sie, «war es mir dann auch egal. Ich will ja nichts Schlechtes über einen Verstorbenen sagen, aber Ihr Großpapa war kalt wie ein Frosch. Ich weiß, was man sich so erzählt, aber das war damals auf gar keinen Fall ein Mord/Selbstmord, als er und Phoebe ums Leben kamen. Es war ein Unfall, schlicht und ergreifend. Der Mannhatte einfach die schlechtesten Augen, die man sich vorstellen kann, viel zu schlecht, um ein Auto zu lenken. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft er allein auf dem Weg von Averell Cottage bis hierher von der Straße abgekommen ist. Anderthalb Kilometer. Mich hat er damit wahnsinnig gemacht, weil ich ihn jedes Mal mit meinem alten Ram aus dem Graben ziehen musste. Nein, ich hab es nie bereut, dass ich ihn damals nicht gekriegt habe. Hatte ein viel besseres Leben als Junggesellin, wissen Sie.» Sie zwinkerte mir zu.
    «Gut für Sie», sagte ich. «War George denn wirklich so langweilig, wie ich ihn mir vorstelle?»
    Sie blinzelte und sagte: «Nein, er war sehr nett.»
    «Oh», machte ich.
    Und dann begann sie zu lächeln und sagte: «Ach was, ich hab geflunkert. Ein Knaller war er nun wirklich nicht. Er war mein Boss, wissen Sie, hier in dieser Bibliothek. Eine Katastrophe. Ich hab damals die ganze Arbeit für dieses Haus hier gemacht, wissen Sie.»
    «Ich kann’s mir vorstellen», sagte ich. Ich merkte, dass die Teetasse in meinen Händen kalt geworden war, und stellte sie ab. «Und jetzt, Ms. Pomeroy, was können Sie mir über Jacob Franklin Temple sagen?»
    Hazel Pomeroy lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute mich wieder mit diesem durchtriebenen Lächeln an. «Haben Sie ein paar Stunden Zeit, Wilhelmina?»
    «Nennen Sie mich Willie, bitte», erwiderte ich. «Und ich habe Tage Zeit.»
    «Gut», sagte sie. «Dann werde ich Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen.»
    Folgendes erzählte mir Hazel Pomeroy bei endlos vielen Tassen Tee an jenem Tag:
    Jacob Franklin Temple war das jüngste von sieben Kindern, welche allesamt gestorben waren außer ihm und seinem ältesten Bruder Richard. Zum Zeitpunkt seiner Geburt war Marmaduke bereits wohlhabend,Richard war schon ein

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