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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Unterbrechung meines Weges ergab sich daraus, dass ich noch nicht bereit war, in die Bibliothek zu gehen, und so flüchtete ich mich in die staubige Sicherheit des Franklin House Museum. Ich war allein; niemand war da, um mir eine Eintrittskarte aufzudrängen, und so ging ich in einem kleinen, abseits gelegenen Zimmer in Deckung und blickte eine Weile über den grünen Rasen zum See hinunter. Es war ein schummriger Raum mit Walnussvertäfelung und hoher Decke. Als ich mich umdrehte, stellte ich fest, dass ich mich mitten in der Schusslinie zweier Duellanten befand.
    Über dem Kamin hing das gestrenge Porträt von Marmaduke Temple mit seinen Hängebacken; es hatte den Anschein, als ruhten seine Blicke direkt auf mir. Dann schienen sie im Raum umher und die Wand hochzuwandern, um schließlich auf der anderen Seite innezuhalten, wo das Originalkonterfei von Jacob Franklin Temple prangte. Der Dichter grinste, um den Kopf eine Art Heiligenschein, der leuchtend und wütend zugleich wirkte.
    Ich spürte deutlich das Spannungsfeld zwischen Vater und Sohn. Ich stand zwischen meinen Vorfahren, dem Grundbesitzer und dem großen Dichter, und kam mir vor wie das Seil beim Tauziehen.
    «Beruhigt euch, Jungs», sagte ich schließlich. «Lasst mich einfach in Ruhe.» Und ich floh.
    Es zog mich unweigerlich in die Bibliothek, wo ich Zuflucht an einem vertrauten Ort nehmen wollte. Doch als ich die schummrige kleine Räumlichkeit betrat, wehen Herzens und erschüttert, schaute mich die kleine alte Dame hinter dem Schreibtisch an, runzelte die Stirn und sagte: «Ihr Freund Peter. Er ist nicht da. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich weiß es nicht.»
    «Oh», sagte ich, und obwohl ich erleichtert war, überkam mich auch Ratlosigkeit. Ich hatte auf Peters Hilfe gezählt. Ich drehte eine Runde in der Bibliothek und kehrte dann an den Tisch der alten Dame zurück. Vielleicht lag es an dem surrealen Charakter dieses Morgens – die Opernsängerinnen, die Taucher, die Porträts –, dass ich Tränen in meiner Stimme spürte, als ich sagte: «Haben Sie denn eine Ahnung, woher ich Informationen über Jacob Franklin Temple bekommen könnte?»
    Die Frau sah mich an und blinzelte langsam wie eine Kröte.
    Ich wartete, rechnete mit einem Nein, weil die Frau da vor mir so alt war, dass sie sich vermutlich nicht einmal mehr selber eine Tasse Tee machen konnte.
    Und dann verzog die Ziegenfrau das Gesicht zu einem der schönsten und strahlendsten Lächeln, die ich je gesehen hatte. Sie sagte: «Na, dann ist heute aber Ihr Glückstag. Vor Ihnen sitzt die weltweit größte Expertin bezüglich Jacob Franklin Temple, meine Liebe.»
    Wir machten uns langsam auf den Weg zu ihrem kleinen Zimmer im Rückgebäude, wo ich wartete, während sich die alte Dame an ihrem Wasserkessel zu schaffen machte. Dann endlich nahm sie Platz. «Ich bin Hazel Pomeroy. Ich bin hier schon seit – meine Güte, schon seit Ewigkeiten. Und wer zum Teufel sind Sie?» Sie nippte an dem grünen Tee, den sie uns gemacht hatte; auch hier hatte ich mich getäuscht – sie wusste sehr wohl, wie man Tee kochte.
    «Wilhelmina Upton», sagte ich und seufzte ein wenig. «Ich versuche herauszufinden, ob Jacob vielleicht ein wenig herumgehurt und möglicherweise – na ja, irgendwo einen kleinen Bastard in die Welt gesetzt hat.»
    Hazels Augen traten aus den Höhlen, und einen Moment lang sah sie so aus, als hätte sie dermaßen viel zu sagen, dass es sie regelrecht verstopfte, wie bei einem Staudamm, der durch abgebrochene Äste blockiert wird. Schließlich erwiderte sie: «Ach herrje. Also Sie sind Wilhelmina Upton. Lassen Sie sich anschauen.»
    Daran war ich gewöhnt; all meine Geschichtslehrer, selbst am College, waren so aufgeregt gewesen, mich zu sehen, ein lebendes Fossil aus einer berühmt-berüchtigten Familie, dass ich oft so gemustert wurde. Sie kniff die Augen zusammen und schaute mich von Kopf bis Fuß an, dann schüttelte sie schließlich den Kopf und lächelte.
    «Sie sehen Marmaduke sehr ähnlich, wissen Sie das?», sagte sie. «Dieser rötliche Schimmer in Ihrem Haar, die Größe, das entschlossene Kinn. Die rosa Wangen. Einfach eine Wucht.»
    «Danke, Hazel», sagte ich, aber sie war noch nicht fertig.
    «Ganz anders als Ihr alter Großpapa George.
Das
war ein hartes Stück Arbeit. Was für ein komischer Kauz», sagte sie. «Ich war mal mit ihm verlobt, wissen Sie.»
    In diesem Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen, und selbst die Staubflusen in den Lichtstrahlen blieben

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