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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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kitzelte. Und während unsere Löffel knirschend durch die karamellisierteSchicht auf der Eiercreme stießen, sagte Felcher: «Tut mir leid, das mit eben.»
    «Ach», sagte Vi, und auch ihre Stimme klang etwas brüchig. «So ist das Leben. Kinder machen einen einfach immer ein bisschen verrückt.» Sie tätschelte Felchers Schulter und sagte: «Ich weiß, wie sich das arme Ding fühlt. Hab mich selber so gefühlt. Aber ich weiß auch, dass man niemanden dazu zwingen kann, einen zu lieben. Das wird sie mit der Zeit noch begreifen lernen.»
    Den Rest des Desserts aßen wir in einer Stille, die nur durch das Quaken der Frösche am Teich durchbrochen wurde. Ab und zu blickte ich zu Felcher hoch, und als der finstere Ausdruck auf seinem Gesicht sich langsam löste und aufhellte, geschah etwas mit mir, und ich wusste, dass ich ihn nicht mehr Felcher nennen konnte.
    «Ezekiel», sagte ich.
    «Ja?», fragte er lächelnd.
    «Ach, nichts», sagte ich und lächelte ein wenig. Doch dann dachte ich an Primus, daran, wie wir in den hellen Sommernächten durch die Tundra gewandert waren, wie seine Hand die meine gehalten hatte. Es gab mir einen gewaltigen Ruck, und mir wurde voller Traurigkeit bewusst, dass wir nie wieder dort zusammen sein würden, um die Millionen zarter Schattierungen der Flechten zu bewundern. Als ich wieder aufblickte, lächelte Felcher mich immer noch an, erwartungsvoll. Doch ich hatte aufgehört zu lachen und wandte den Blick ab.
    Es war Mitternacht, als die Jungs sich verabschiedeten und Vi und ich das Geschirr spülten und abtrockneten, immer noch den schmachtenden Klang von Peters Geige in den Ohren. Nachdem sie die letzte Schüssel ausgespült und mir zum Abtrocknen gereicht hatte, gähnte Vi.
    «Das war ein schöner Abend. Kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen so schönen Abend hatte», sagte sie.
    «Du meinst, abgesehen von den paar Faustschlägen», sagte ich.
    «Kann man dem armen Ding nicht zum Vorwurf machen», sagte Vi, nahm die abgetrocknete Schüssel von mir entgegen und verstaute sie im Küchenschrank. «Es war deutlich zu sehen, dass Zeke verknallt ist. Hoffnungslos verknallt. Mit Betonung auf Knall.»
    «Hm. Er ist eigentlich nicht mein Typ, Vi.»
    «Kann schon sein, aber ein nettes kleines Geplänkel mit jemandem wie Zeke könnte dir helfen, über dieses Arschloch von Primus hinwegzukommen. Und wer weiß. Scheint ein netter Bursche zu sein und klug offenbar auch. Und er sieht immer noch zum Umfallen gut aus. Vielleicht entwickelt sich ja noch was.»
    «Ezekiel Felcher sieht
überhaupt nicht
gut aus, Vi. Zum Umfallen gut ausgesehen hat der zuletzt 1995.»
    «Dein Problem, Sunshine», sagte sie und stellte die nächste Schüssel mit einem Krachen ab, «ist, dass es dir mit deiner Einbildung und Hochnäsigkeit einfach den geraden Blick auf die Welt verstellt. Niemand in Templeton wäre jemals gut genug für dich. Wenn jemand von hier stammt, dann bedeutet das in deinem kleinen Kopf, dass er nur zweite Wahl ist.»
    «So stimmt das aber nicht», sagte ich.
    «Doch», sagte sie, «genau so stimmt es. Aber ich hab dich auch zu so einer Denke erzogen. Es war mein Fehler. Ich hab dich immer wieder angetrieben. Hab dich so ehrgeizig gemacht, dass du dich für deine Herkunft schämst. Kein Wunder, dass du ausgerastet bist. Aber ich mach mir da keine Sorgen, Willie. Du kommst schon wieder. Geh du erst mal zurück, leb dein Leben in San Francisco, und komm irgendwann wieder nach Templeton.»
    Ich wollte ihr sagen, wenn ich tatsächlich nach San Francisco ging, dann bestand nur eine geringe Chance, dass ich jemals nach Templeton zurückkehrte. Doch etwas hielt mich davon ab; ich brachte es einfach nicht über mich, ihr das Herz zu brechen. Stattdessen seufzte ich und sagte: «Vielleicht. Wenn ich jemals diese bescheuerte Vaterkiste knacke.»
    «Wie viel Zeit hast du denn noch?», fragte sie.
    «Sechs Tage», antwortete ich. «Dann muss ich Sully ablösen. Er macht nachts kein Auge mehr zu. Clarissa sagt, er ist wie ein Zombie. Und sie findet, dass das nicht fair ist – schließlich ist doch sie die wandelnde Leiche in der Familie.» Vi blinzelte mich entsetzt an.
    Ich fügte erklärend hinzu: «Es war lustiger, als sie es gesagt hat.»
    «Sechs Tage. Na ja. Du wirst es schaffen», meinte Vi und knipste das Küchenlicht aus. Im Dunkeln machte sie sich auf den Weg zur Treppe, und ich hörte ihre schweren Schritte, während sie durch das Haus ging und die Tür ihres Zimmers hinter sich

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