Die Monster von Templeton
alten Fliederbusch stehen, um mir die Szenerie genauer anzuschauen und mich zu fragen, ob Reverend Milky plötzlich seine romantische Ader entdeckt hatte und ich gleich Zeugin eines nächtlichen Schäferstündchens werden würde. Oder war das die Wiederkehr einer von Vis Gaia-Zeremonien aus meiner Jugend?
Dann hörte ich deutlich Vis Stimme, die sich über dem Gemurmel erhob. Der Wind frischte auf und lenkte das flackernde Kerzenlicht direkt auf die beiden anderen Gesichter, und ich sah Peter Lieder, der mit einem Daumen auf einer Violine zupfte, sowie Ezekiel Felcher, der durch die Äste der Linde nach oben in den nächtlichen Himmel spähte.
«Wo zum Henker ist sie denn, Ms. Upton?», fragte Peter und entlockte den Saiten seines Instruments ein ungeduldiges kleines Quietschen.
«So wie ich Willie kenne, könnte sie überall sein», sagte meine Mutter. «Sie ist einfach verrückt.»
Über diese freundliche Umschreibung meiner Person lachten alle ein bisschen. Ich wurde ein bisschen wütend, trat in genau diesem Moment aus dem Fliederstrauch und sagte: «Hier bin ich.» Alle fuhren zu mir herum, weil sie offenbar gedacht hatten, wenn ich kam, würde ich durch die Glastür des Flügels aus den Siebzigern treten, und Peter Lieder sprang so plötzlich auf, dass sein Stuhl nach hinten umkippte. Vi erhob sich, und irgendwie sah ihr Gesicht durch die weichen Schatten, die das Kerzenlicht warf, viel straffer und hübsch aus. Felcher kam zu mir herüber, während Peter begann, auf der Geige zu spielen, nahm mich an der Hand und geleitete mich zum Tisch. Dieser war mit Käse und Salaten, Brot und Wein beladen, und ich nahm Platz, mit dem Rücken zum Haus, und schaute auf die teerschwarze Fläche desSees hinaus. Felcher zog unter seinem Stuhl einen großen Strauß vom Lavendel meiner Mutter hervor. Ich saß völlig verblüfft da, als die Violine verstummte, und lauschte der Stille um mich herum, in die sich nur das Quaken der Frösche und die leisen Klänge der hawaiianischen Musik aus dem Country Club mischten, die sanft über den See geweht wurden.
«Und jetzt sagt mir bitte mal jemand, was hier vorgeht», sagte ich.
Felcher beugte sich vor und sagte: «Wir hatten ein schlechtes Gewissen wegen vorgestern Abend, Willie, weil es dir doch sowieso schon nicht gut ging und wir dir alles noch schwerer gemacht haben. Wir hatten einfach ein schlechtes Gewissen deinetwegen, Pete und ich. Und als ich dann heute bei dir anrief, um mich bei dir zu entschuldigen, und deine Mutter dranging, habe ich ein bisschen mit ihr geplaudert, und sie hat den Vorschlag gemacht, wir sollen dir was Gutes tun. Pete und deine Mutter haben ein schönes Abendessen hergerichtet, und Pete wird ein bisschen Musik machen, wenn wir mit dem Essen fertig sind, und dann werden wir alle einen schönen, ruhigen Abend verbringen und vielleicht, wenn wir genug Wein getrunken haben, sogar ein bisschen im See schwimmen.»
«Das ist so romantisch», sagte Vi, der der Wein offenbar bereits zu Kopf gestiegen war.
«Das ist
überhaupt nicht romantisch»,
sagte Felcher. «Wir sind einfach nur freundlich.»
«Ich bin sprachlos», sagte ich.
«Genau das hatten wir beabsichtigt», sagte Peter herzlich.
«Nein», sagte ich. «Ihr habt das aus Mitleid mit mir gemacht? Aus Mitleid, verdammt noch mal?»
«O-oh. Jetzt habt ihr sie in ihrem Stolz erwischt. Brandgefährlich.»
«Vivienne», sagte ich. «Halt die Klappe.»
In diesem Moment trat ein langes Schweigen ein, und meine Mutter fing an, das Baguette zu zersägen. Schließlich sagte Felcher – ohne seinen Hinterwäldlerakzent, den er blitzschnell abgelegt hatte – miteiner Stimme, die ganz angespannt vor Wut war: «Weißt du was? Wir wollten dir einfach nur was Gutes tun, Willie, aber wenn du so reagierst, dann kannst du mich mal. Ich meine, offenbar geht es dir momentan wirklich beschissen. Du kommst nach Templeton zurück, bist klapperdürr und siehst erschöpft aus und tischst uns allen diese bescheuerte Geschichte auf, du wolltest deine Doktorarbeit abschließen, wo du doch Archäologie studierst, meine Fresse. Man kommt doch nicht nach Templeton, um jeden Tag in der historischen Bibliothek zu verbringen, wenn man seinen Doktor in Archäologie macht. Das passt einfach nicht zusammen. Und dann hab ich dich in all den vielen Jahren nicht mehr gesehen, seit wir mit der Highschool fertig waren, und du hast nichts für mich übrig als böse Worte. ‹Ich möchte nicht gesehen werden, wenn ich die Kneipe mit dir
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