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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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schloss.
    Lange Zeit starrte ich in die Dunkelheit des Sees hinaus, der wie vernickelt wirkte, schaute auf die sanften Kurven der Hügel. Ich stellte mir vor, das riesige Ungeheuer wäre immer noch am Leben, dort unten in der Tiefe, schwimme mit sanften Bewegungen hoch zur Oberfläche, um Luft zu holen, und ruhe sich ein wenig oben aus, bevor es wieder in die Tiefe abtauchte. Gerade wollte ich mich in mein Mädchenzimmer begeben, als das Telefon läutete. Zuerst dachte ich, dass Clarissa unerwartet krank geworden sei, die hässliche Vorstellung von Kathetern und Krankenwagen spukte mir durch den Kopf. Noch vor dem zweiten Klingeln hob ich ab und sagte so schnell «Hallo», dass es nur als Flüstern herauskam.
    «Willie, Mädchen», sagte jemand. Es klang glatt und samtig. «Tut verdammt gut, deine Stimme zu hören.»
    Es war Primus Dwyer.

Primus Dwyer oder: Der große Hanswurst
    I
ch schnappte nach Luft und setzte mich auf den kalten Parkettboden. In der Dunkelheit blinkte das Licht des Videorekorders in gleichmäßigem Takt.
    «Willie?», fragte Primus. «Ist mit dir alles in Ordnung?»
    «Ja», flüsterte ich. «Nein. Es ist ein Monat vergangen, und du hast nicht angerufen.»
    «Mein liebes, dummes Mädchen», sagte er. «Ich kann es mir doch nicht einfach aussuchen, wann ich anrufe, weißt du. Handys funktionieren nicht in der Tundra, Liebes.»
    «Na gut», sagte ich. «Das wusste ich.»
    Es trat ein langes Schweigen ein, und ich konnte im Hintergrund die Schwalben und Möwen schreien hören. Jetzt ertönte das vertraute Rumpeln eines Lastwagens, der vorbeifuhr; Primus befand sich an einem bewohnten Ort, vielleicht einer Stadt. Schließlich vernahm ich das Rauschen von Wellen und schloss aus dieser Tatsache, dass er irgendwo draußen ein Münztelefon gefunden haben musste, in der Nähe des Meeres.
    «Wo bist du?», fragte ich, wobei mein Herz so laut klopfte, dass ich kaum meine eigene Stimme hörte.
    «Ach so, ja», sagte er. «Na ja, ich bin beim Abendessen. Genauer gesagt, ich war. Momentan denken alle, ich bin auf dem Klo. Jan lässt mich keine Sekunde mehr aus den Augen, seit wir die Ausgrabungsstätteverlassen haben, weißt du, außer heute Abend zum Essen, und deshalb hab ich die Gelegenheit genutzt, dich anzurufen. Sind alle ein bisschen angesäuselt, weißt du. Wir feiern. Mensch, Willie, wir haben den Artikel fertig, stell dir vor», sagte er. «Heute haben wir das Manuskript an
Nature
geschickt, wo es noch vor der nächsten Ausgabe geprüft und, mit Glück, kurz darauf veröffentlicht wird. Hurra! Natürlich wirst du auch als Autorin genannt. Ich musste darum kämpfen, aber das hab ich wirklich. Gekämpft. Für dich.»
    «Oh. Hurra!», sagte ich.
    «Hör mal zu, Liebling. Ich muss gleich aufhören, sonst werden sie mich vermissen. Ich wollte dich bloß anrufen, um mich zu vergewissern, dass du nicht mehr sauer auf mich bist. Das kannst du einfach nicht sein. Du bist so eine ausgezeichnete Studentin und ein reizendes Mädchen, wirklich, einfach reizend. Ich freue mich sehr darauf, dich wiederzusehen, wenn du wieder an der Uni bist, weißt du das? Vielleicht können wir ja da weitermachen, wo wir aufgehört haben?» Er hatte die Stimme gesenkt, und sie war ganz zuckersüß geworden, wie damals in Alaska, bevor er mir eine Hand auf den Oberschenkel oder auf den Rücken gelegt hatte. Auf dem harten Parkettboden von Averell Cottage in jener Nacht sehnte ich mich nach dem Gewicht jener Hand, nach ihrer Wärme auf meiner Haut.
    «Warte mal», sagte ich und begann ein wenig abgehackt zu atmen. «Ich glaube, mir platzt gleich der Kopf.»
    Er ließ sein kleines, bellendes Lachen hören und sagte: «Was denn, Liebling?»
    Ich sagte: «Ich dachte, ich würde von der Uni fliegen. Wegen meines Mordversuchs, weißt du. An deiner Frau.»
    Er gluckste leise und sagte: «Ach ja, das. Nein, nein. Sie ist ziemlich eifersüchtig, das stimmt, aber wir haben sie beruhigt und brauchen es ihr ganz bestimmt nicht zu verraten, wenn du wieder da bist. Außerdem musst du nur noch ein Kapitel von deiner Doktorarbeit schreiben, und dann kannst du noch vor Dezember ins Rigorosum – was natürlichfrüh ist – und hast eine glänzende Karriere vor dir. Mit dieser Veröffentlichung hier kannst du wirklich überall eine Anstellung finden. Oder ich finde was für dich. Das werde ich auch, ja. Ich hab gehört, dass in Princeton jemand gesucht wird. Ich werd mich mal erkundigen.»
    «Princeton?», fragte ich. «Aber das ist so weit weg

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