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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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überall huschten Ratten über die Straße. Schließlich klopften wir an ein gedrungenes Steingebäude, mein Vater zischte etwas in den sich öffnenden Türspalt, und wir traten ein.
    Es war ein schummriges Lokal, in dem es seltsam roch, wie ich fand. Zahlreiche Männer saßen auf Stühlen rund um die Feuerstelle, von denen wir einige bereits am Abend auf unserem Rundgang durch Albany gesehen hatten. Mir schienen es allzu viele Mädchen zu sein, die Krüge mit Punsch herumreichten und allesamt äußerst spärlich bekleidet waren. Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg, und schaute auf meine Füße, um nur ab und zu den Blick zu erheben.
    Ein Mann nach dem anderen verschwand, obwohl ich nie einen durch die Vordertür hinausgehen sah. Dasselbe galt für die Mädchen. Schließlich sah ich auch Pecks Hinterkopf hinter einem Vorhang verschwinden. Mein Vater flüsterte einer fetten Rothaarigen, die auf seinem Schoß saß, etwas ins Ohr. Sie lächelte, schaute mich an und kam herübergewabbelt. Sie setzte sich neben mich, begann mir übers Knie zu streichen.
    Wie ahnungslos ich doch war … Erst als die Rothaarige anfing, mir ihren salzigen Atem ins Ohr zu pusten, und ich sah, wie mein Vater die Hand einer schmächtigen Brünetten nahm, wusste ich, wo ich mich befand.
    Ich wartete, bis mein Vater aufstand, den Kopf gebeugt wegen der niedrigen Decke. Dann schob ich das Mädchen von mir weg und stolpertein die Nacht hinaus. Ich weinte, während ich lief, ich, ein ausgewachsener Mann von vierundzwanzig Jahren.
    Schließlich fand ich zu unserer Herberge zurück, nahm meine Sachen, sattelte das Pferd und ritt durch den langen Morgen. Die ganze Zeit über dachte ich an meine Mutter. So klein, so ergeben. Ich muss ihr alles sagen, dachte ich. Sie sollte es wissen, obwohl ihr Geist gewiss zerbrechen würde, wenn sie es erfuhr.
    Doch während des langen Ritts schwand meine Entschlossenheit zusehends dahin, und als ich schließlich schweren Herzens durch die Tore von Templeton Manor ritt, war mir klar geworden, dass ich sie vor dem, was ich wusste, schützen musste. Obwohl es einen schrecklichen, bitteren Geschmack in meinem Mund hinterließ, würde ich den Ekel auf meinen Vater schlucken müssen und so tun, als wäre nichts geschehen.
    Drinnen umarmte mich meine Mutter, und ich musste ihr erklären, was ich schon so früh zu Hause machte. Ich verbarg mein Wissen hinter kurzen Antworten und in meiner gewohnten Schweigsamkeit.
    Als mein Vater und Peck zurückkehrten, nahm mich mein Vater beiseite. Richard, mein Sohn, sagte er. Es gibt keine Entschuldigung. Ich bitte dich einzig und allein um deine Diskretion. Aus Liebe zu mir, sagte er. Bitte. Ich biss mir auf die Zunge und nickte. Ich tat so, als hätte sich fast nichts verändert. Obwohl ich mich am Ende nur wenige Monate verstellen musste, fiel es mir entsetzlich schwer.
    In der Nacht, als mein Vater starb und Mingo mit seinem Geheul begann, wusste ich, was geschehen war. Und während ich noch einen Moment lang im Eagle sitzen blieb, bevor ich aufstand und auf die Straße hinauslief, war das Gefühl, das zuallererst in mir aufstieg, nicht Schmerz. Der schwarze Punkt auf meiner Seele, er heißt – Erleichterung. All die Jahre, all die Jahre. Mein Hass grub sich in mein Tagebuch, um meiner Mutter willen. Meine Wut galt Jacob, der ganz langsam unser Vermögen aufbrauchte, zuerst bei der Handelsmarine, dann bei seinen Vergnügungsreisen durch Europa mit der törichten Sophieund seinen allzu vielen Töchtern, und auch diese Wut gehörte meinem Tagebuch allein. Mein Tagebuch nahm hin, was ich empfand, wenn ich meine Mutter ob ihres abwesenden Lieblings, meines kleinen Bruders, trauern sah. Und auch meine Eifersucht wanderte in jenes Büchlein, jedes Mal, wenn Jacob nach Hause kam. Als Anna starb, auch meine Trauer um sie … Ohne sie wurde ich zu einem wandelnden Skelett. Ohne sie flatterte die Güte mir davon. Ich hörte auf, den Menschen, die mir begegneten, ein freundliches Wort zu schenken, kannte kein Lachen mehr über Scherze. Die Sanftmut einiger Leute aus Templeton – Davey, Hetty, Mudge – trieb mir brennende Tränen in die Augen.
    Irgendwann versuchte ich mich an einer Geschichte. Nichts allzu Großes. Nichts in den schwadronierenden langen Sätzen, die mein Bruder schrieb, nichts in Wörtern, von denen ich mir unsicher war, wie man sie schrieb. Ich versuchte, die Wahrheit über meinen Vater zu sagen, über Marmaduke Temple, und es war keine angenehme Wahrheit,

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