Die Monster von Templeton
Sumpfgebiet, zu dem das Gehirn meiner Mutter geworden war, war ihr bewusst, dass sie es nicht schaffen würde, von den Drogen loszukommen, wenn sie zurück nach San Francisco ging, und dass es ebenso fast unmöglich war, in Templeton welche aufzutreiben. Sie hatte ein gutes Herz und wollte nicht, dass ihr kleines, heranreifendes Baby einmal behindert sein würde. Außerdem würde sie, wenn sie nach San Francisco zurückkehrte, überhaupt nicht mehr wissen, welcher der vier Männer aus der Kommune der Erzeuger ihres Kindes war; bevor ich zur Welt kam, hätte jeder der vier (plus) mein Vater sein können. Als ich dann jedoch geboren wurde, mehr als zehneinhalb lange Monate nach ihrer Heimkehr – ich sei sogar im Mutterleib schon stur gewesen, pflegte sie die überlange Schwangerschaft zu erklären –, hatte sie die Zahl der möglichen Väter immerhin auf drei reduziert, denn angesichts meiner rosigen Haut, war sie sich ziemlich sicher, dass es der Schwarze schon mal nicht gewesen sein konnte. So lautete die Version, die ich von ihr erzählt bekam, selbst im zarten Alter von zwei Jahren, als ich nicht den blassesten Schimmer davon hatte, was Sex ist. Meine Mutter war eben immer geradeheraus. Und bis ich die tatsächlichen Vorgänge einer Zeugung wirklich begriffen hatte, fand ich den Gedanken, drei Väter zu haben, einfach herrlich: Wenn schon einer gut war, was sollte man dann erst sagen, wenn jemand mit dreien gesegnet war!
Einmal wurde ich vom Kindergarten nach Hause geschickt, weil ichmit meinen drei Vätern geprahlt hatte. Mrs. Parrot blinzelte mitleidig zu mir herab, als sie mir die Notiz für meine Mutter an die Jacke heftete, und tätschelte mir liebevoll den Kopf. Als meine Mutter in unserem alten Volvo den Zettel abmachte, gluckste sie und klebte die Notiz zu Hause in mein Babyalbum.
Liebe Ms. Upton
, stand da.
Wilhelmina hat sich heute damit gebrüstet, drei Väter zu haben, wofür ich sie zur Strafe nach Hause geschickt habe. Bitte vermeiden Sie es doch, in Anwesenheit von leicht zu beeindruckenden Kindern über Ihre permiske Vergangenheit zu sprechen. Kleine Krüge haben große Henkel. Mrs. P.
«Mit Fremdwörtern steht sie auf Kriegsfuß, die blöde Henne», sagte meine Mutter, während sie Klebstoff auf die Rückseite des Zettels träufelte. Sie hatte Tränen gelacht, und ihre Wangen waren feucht.
In dem Moment jedoch, als sie damals im Krankenhaus dieses kleine, pulsierende Etwas willkommen geheißen hatte, die Hände über ihren Bauch gelegt, wusste Vi, dass sie bleiben würde, um ihr Kind gesund aufwachsen zu lassen, weit weg von jeglicher hedonistischen Verlockung. Sie würde in Templeton bleiben und eine gute Mutter sein, beschloss sie; dort war ich in Sicherheit.
Um ehrlich zu sein, ist mir etwas an diesem Teil der Geschichte immer schon faul vorgekommen, aber ich wusste nie so recht, warum. Ich schluckte sie einfach. Und bis ich später selbst San Francisco besuchte, war ich dankbar dafür, in meiner kleinen, schönen Stadt aufgewachsen zu sein. Erst als ich jene großartige, rotgoldene Stadt im Nebel zum ersten Mal erblickte, tat es mir um Templeton und seine kleinkarierte Art leid, um seine Unterwürfigkeit gegenüber den Baseballtouristen, die jedes Jahr in Horden über die Stadt herfielen, eine Stadt, in der es noch nicht einmal ein anständiges Kino gab. Ich sehnte mich nach San Franciscos Transvestiten in ihren hübschen Fummeln, nach den Cafés und den Einrichtungsläden mit importierten indonesischen Möbeln; ich hatte das Gefühl, ich wäre ein anderer, ein besserer Mensch gewesen, hätte man mich bloß in einem größeren Ort aufwachsen lassen. Wie ein Goldfisch, dachteich, wäre ich einfach so lange gewachsen, bis ich in mein Glas gepasst hätte.
Vivienne hätte wahrscheinlich für meinen Wunsch nach einer großzügigeren Umgebung in meiner Kindheit Verständnis gehabt, wenn sie damals, als sie endgültig beschloss, in Templeton zu bleiben, darüber nachgedacht hätte. Vielleicht hätte sie sich sogar dazu durchringen können, nach San Francisco zurückzukehren, um ihrem Kind etwas mehr zu bieten. Doch in dem nur langsam wärmer werdenden Frühling jenes Jahres war sie schwanger, arm, verängstigt und zittrig vom Drogenentzug und einfach nicht in der Lage, sich allzu viele Gedanken zu machen. Man kann sich leicht vorstellen, wie das alles für sie war: die Einsamkeit, das Gefühl der Wertlosigkeit angesichts ihrer mangelnden Bildung, die Isolation, die Ablehnung durch die Leute in
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