Die Monster von Templeton
Freundinnen, besonders diejenigen, die am helllichten Samstagmorgen in Averell Cottage am Küchentisch hockten und mit meiner Mutter Omelett aßen oder mit mir Zeichentrickfilme schauten. Da war etwas an ihren breiten Hüften, an ihren hungrigen, zerbissenen Mündern, am Lächeln auf ihren Gesichtern, wenn sie dachten, ich würde nicht hinschauen, das in mir einen gewissen Verdacht weckte, lange bevor ich begriff, was genau es war. Später, als ich sechzehn war und meine Mutter sich einmal im Suff als «pansexuell» bezeichnete, war es mir dann klar, so klar wie der Punkt am Ende eines ellenlangen Satzes.
So sah Viviennes Leben aus, nachdem ich geboren wurde. Sie war Intensivkrankenschwester und linderte mit einer tief empfundenen Sanftheit die Beschwerden von hoffnungslosen Fällen, wie ich sie privat nur selten an ihr erlebte, von der ich jedoch wusste, dass sie irgendwoin ihr existierte. In den Monaten, bevor ich selbst als Ausgestoßene nach Templeton zurückkehren würde, wachte sie manchmal morgens mit dem Gefühl der Dankbarkeit dafür auf, dass sie die Siebziger überhaupt überlebt hatte. An anderen Tagen hatte sie das Gefühl, alles vermasselt zu haben; stets hatte sie mich mit so viel von ihrer eigenen Persönlichkeit überschüttet, dass sie befürchtete, für sie selbst könne nichts mehr übrig sein. Als sie dann ihren langen Weg zu Jesus Christus antrat, verbrachte sie Stunden um Stunden mit inbrünstigsten Gebeten, um mich vor den schrecklichen Fallstricken zu bewahren, von denen sie sicher war, dass sie mich auf meinem Pfad erwarteten. Sie saß mit gebeugtem Kopf am Küchentisch und versuchte bis tief in die Nacht hinein, mich kraft ihrer Gedanken dazu zu bringen, erfolgreich zu sein. Sie verwünschte, sie bettelte. Irgendwann schien dann das Gebet zu wirken, und sie begann zu begreifen, was Glaube bedeutete, so zart und hinfällig er auch war.
Derweil hielt ich an manchen Abenden auf der anderen Seite des Kontinents, wenn ich in einer Küche in San Francisco über meine esoterischen Texte gebeugt saß, manchmal inne und blickte auf, als hätte ich etwas gehört. In jenen Momenten erschien mir diese gigantische, pulsierende Welt da draußen so trügerisch, Sirenen jaulten die Straße entlang, auf dem Weg in die Gefahr, in den Tod, und alles war in Aufruhr. Während des Winters nach dem Terrorangriff auf New York City war das Land grau, grimmig, nur einen winzigen taumelnden Schritt entfernt von einem Sturz kopfüber in die Apokalypse. Die Welt, wie ich sie kannte, stand immer vor ihrem Ende; wir waren zerbrechlich; ich war zerbrechlich. Nur ein kleiner Schubs, und ich würde mich im freien Fall befinden.
Wenn man sich all dies vor Augen führt, kann man vielleicht verstehen, warum Vivienne so reagierte am Tag des Ungeheuers, an dem Tag, als ich zurückkehrte. Und es gab in der Tat seltsame Parallelen: die Schwangerschaft, der fehlende Vater, all die ehrgeizigen Pläne, denen ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. Eine Rückkehrnach Templeton in Ungnade. Und ihr eigener Ehrgeiz, der zum wiederholten Male unsanft gebremst wurde. Wie enttäuscht muss sie an jenem Morgen zu mir hochgeblickt haben, als ich da stand, achtundzwanzig Jahre alt und verdreckt von der Reise, abgemagert, mit geschorenem Kopf und wundem Herzen, elend, die Augen geschwollen von zu langem Weinen. Wie sehr muss sie mich als ein einziges Scheitern gesehen haben, das nichts mit den hochtrabenden, ehrgeizigen Plänen zu tun hatte, die sie einst für mich gehabt hatte. Eine Verschwendung all jener Jahre, in denen sie sich für mich ausgequetscht hatte wie eine Zitrone. Und wie verhasst muss ich ihr damals gewesen sein, in genau diesem Moment.
Die Laufkumpels (Big Tom, Little Thom, Johann, Sol, Doug, Frankie) ergreifen das Wort
Wir laufen; wir laufen gern; wir laufen schon seit neunundzwanzig Jahren miteinander; wir werden laufen, bis wir nicht mehr können. Bis unsere Hüften krachen und auseinanderbrechen, bis unsere Lungen rasseln und zu bluten anfangen. Bis wir nicht mehr mittelalt, sondern ganz alt sind, so wie wir mal jung waren und irgendwann mittelalt wurden. Wir laufen. Im Winter laufen wir durch den weichen Schnee, schliddern über das Eis. Im Sommer von Templeton, der so weich ist wie Fensterleder und von innen leuchtet, laufen wir. Wir laufen morgens, wenn die Schönheit der Stadt uns die Muße dafür gibt. Wenn sie uns gehört, uns ganz allein, während die Touristen immer noch in ihren Träumen vom Baseball
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