Die Monster von Templeton
zusammengetragen vom Vater ihres Vaters – Asterisk «Sy» Uptown, dem langjährigen Baseballbeauftragten der Stadt. An Möbeln durfte sie nur die Einrichtung behalten, die sich im Averell Cottage befand. Unterm Strich würde sie rund fünfzehntausend Dollar Bankguthabenihr Eigen nennen, ein Geschenk ihres Großvaters anlässlich ihrer Geburt. Das war alles, was von Marmadukes Millionen geblieben war.
«Die gute Nachricht», sagte Chauncey Todd, «ist, dass Sie Averell Cottage behalten können. Ihre Mutter hat es die
ganze Zeit
zu treuen Händen für Sie verwaltet.»
Vivienne starrte den Rechtsbeistand orientierungslos an, der in seinen Stuhl zurücksank und sich in den Nasenrücken kniff. Auf der langen Busfahrt quer durch das Land hatte sie insgeheim den Beschluss gefasst, alles zu verkaufen und sich mit dem Geld ein niedliches, glyzinienbewachsenes Haus in Carmel-on-the-Sea mit Blick auf den Ozean zu leisten. Sie würde Dichterin werden: Worte, so pflegte sie mir zu erzählen, während ich aufwuchs, hatten ihr schon vom späten Teenageralter bis in ihre Zwanziger unter den Nägeln gebrannt. Jahre später würde sie meine unbeholfenen Schulaufsätze wieder und wieder lesen und die Wörter mit großer angeborener Fertigkeit so lange hin und her schieben, bis sie mit leichtfüßiger Anmut über die Seiten trippelten. Auf der Busfahrt nach Hause hatte sie sich das lange Leben genüsslich ausgemalt, das sie in jenem Cottage am Meer führen würde, ein Leben, in dem sie nie wieder würde arbeiten müssen. Wir alle haben unsere eigene Theorie darüber, warum Menschen so reagieren, wie sie reagieren, besonders wenn es ein exzentrisches Reagieren ist; meine jedenfalls ist die, dass jene Tagträume von Carmel-by-the-Sea Viviennes Methode waren, den Kummer über den unbegreiflichen Verlust beider Eltern, der in ihrem Inneren tickte wie eine Uhr, von vorneherein abzuwehren.
Nun, in Chauncey Todds Büro sah es so aus, als müsste sie doch noch ein Weilchen bleiben, um die Bruchbude Averell Cottage auf Vordermann zu bringen und dann zu versuchen, das Anwesen zu verkaufen. Selbst dann würde sie wahrscheinlich bestenfalls genügend Geld haben, um sich ein Jahrzehnt über Wasser zu halten, und zwar in einem kleineren Anwesen als dem, von dem sie geträumt hatte, und dannwürde sie sich einen Job suchen müssen, wenn sie nicht bereits eine berühmte Dichterin geworden war.
Der Anwalt schaute in ihr blasses Gesicht mit den leuchtend erblühten Aknefurunkeln und spürte, wie sich in seiner Brust ein winziger, maunzender Anflug von Mitleid meldete. «Es ist nicht
viel
», sagte er nicht unfreundlich. «Aber Sie können gut davon leben, wenn Sie anständig damit haushalten.»
«Gut. Fantastisch», sagte sie. Und Chauncey Todd, der nur wenig vertraut mit dem Sarkasmus der jüngeren Generation war, nahm sie beim Wort und schenkte ihrem Busen ein strahlendes, zärtliches Lächeln. Zur Erwiderung nahm Vi ihre linke Brust beherzt in die Hand, schüttelte sie zum Abschied für ihn und trottete in ihrem skandalösen Kleid und den Korksandalen nach Hause, das leicht angefressene Zickzack ihres Scheitels tief gegen den Seewind gestemmt.
Zu Hause stand sie am Fenster des Salons und schaute auf den See hinaus. Über seiner vereisten Oberfläche tanzte wirbelnd der Schnee, und die Kiefern auf den Hügeln hatte weiße Spitzen. Vivienne dachte an den alten Marmaduke Temple, wie er seine Sklavin vögelte, und lachte.
Wie sie da am Fenster stand, war sie von sich selbst überrascht. Es hatte eine Zeit gegeben, da sie eine Prinzessin gewesen war, eine artige Shirley Temple in Lacklederschuhen und Organzakleidchen. Eine Zeit, in der sie Gedichte vor ganzen Horden von Historikern vorgetragen hatte, die auf den antiken Stühlen im Salon hockten und ihr einen Schwall Pfeifenrauch entgegenpusteten, wenn sie ihr jubelnd «Hurra!» zuriefen. Hatte sie ihre Sache beim Rezitieren gut gemacht, legte ihr Vater ihr kurz die Hand an die Wange, wenn er sie nach oben zu Bett brachte. «Mein Mädchen», sagte er dann. «Mein kluges, kluges Mädchen.» Nun, da sie am Fenster von Averell Cottage stand und hinausblickte, stiegen aus dem Nichts heraus Worte in ihr auf wie Seifenblasen, aus der Zeit, als sie noch klein gewesen war.
«Im Frühjahr Anno 1785 ließ ich meine Familie in New Jersey zurück und machte mich auf den Weg in die weite und trostlose Wildnis vonNew York»,
sagte sie sich in einem halblauten Murmeln vor.
«… Zuerst war alles dunkel, und die
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