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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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drei Mädchen zwischen achtzehn und zweiundzwanzig gewesen, die an jenem Tag in den Wald gingen. Nur zwei davon kehrten in jener Nacht zurück, eine davon auf die oben geschilderte Weise. Das Mädchen, das nicht mehr nach Hause kam, war die junge Lucille Smalley. Die arme Adah Phinney hingegen tauchte wieder auf, wie oben beschrieben, und es war vielleicht eine Gnade, dass sie nicht lange nach ihrem plötzlichen Wiederauftauchen an den Masern starb, denn die häufig wiederholten Gerüchte, ihr Bruder sei in Wirklichkeit ihr Sohn, hätten sie zutiefst beschämt (eine andere Unwahrheit an dieser Stelle bezieht sich auf die Behaartheit von Simon Phinney, der in Wirklichkeit schon mit fünfzehn eine Glatze hatte). Die beiden anderen Mädchen, die unversehrt zurückgekehrt waren, entwickelten sich zu herausragenden Mitgliedern der Dorfgemeinschaft. Euphonia Falconer, geborene Shipman, wurde zu einem begeisterten Mitglied des methodistischen Chores, und Bette Rhys, geborene Cox, ehelichte unseren geliebten Bürgermeister und brachte eine Schar von insgesamt zehn Kindern zur Welt.

Sagamore (Chingachcook, Große Schlange)
    Zum ersten Mal bemerkte ich eines Nachts, dass das Mädchen ein wildes Geschöpf war. Acht, neun Jahre alt war sie da. Ich wachte auf und merkte, dass sie in der Hütte herumlief. Sah, wie sie die Ölhaut anhob, sich in die hellere Nacht hinausbeugte, zu der Faust voll Sterne. Wie sie einen Eiszapfen abbrach und ihn sich in den Mund steckte. Ich schloss die Augen. Sie wollte die Welt essen.
    Sieben Jahre. Sieben Jahre behielten wir Namenlos in der Hütte. So schreckliche Dinge hatte man dem Kind angetan; als sie vier, fünf Jahre alt war, hatte sie ihre Zunge verloren. Mit neun wurde sie immer schöner. Eine Haut, so weiß wie Pilze, kein Sonnenlicht, zart wie der Bauch einer Maus. Coras Gesicht, das Gesicht meines Sohnes, Unkas’ Augen, Coras schöne Formen. Ein Körper, der schon früh heranreifte unter dem Rehlederhemd, das ich ihr machte, ganz weich auf ihrem Körper. Dann war sie zwölf und reif für einen Ehemann.
    Falkenauge ging viel auf die Jagd, weil ihn das Fieber packte, wenn sie in der Nähe war. Doch ich hatte nicht das Herz, sie ihm bereits zu geben. Sie war zu jung. Stattdessen lebten wir, nun ja, von seiner Großzügigkeit. Sie schlief auf Pelzen.
    Bei Nacht sang ich ihr die alten Lieder. Brachte ihr bei, was sie wissen musste. Sie flocht Körbe, so klein, dass die Damen dachten, sie wären aus Faden. Doch ihre Tage brachte sie damit zu, auf die Welt hinabzuschauen, auf Templeton, den See, grau wie Granit.
    Chingachcook oder Sagamore, mit Hund
Die Bronzestatue mit dem Namen «Indianer auf der Jagd» im Lakefront Park. Die Einwohner Templetons sind sich oft unsicher, wen diese Statue nun eigentlich darstellt – Natty Bumppo oder seinen indianischen Gefährten –, doch Willie war immer der Überzeugung, es handele sich um Häuptling Chingachcook.
    Jeden Tag verkaufte ich meine Körbe, sparte für sie, für die Zeit, wenn ich nicht mehr da bin. Ich bin ein alter, alter Mann und spürte, wie meine Gelenke zu Stein wurden. Meine Knochen schmerzten. Ich wollte den Trank zu mir nehmen und diese Erde verlassen, in die ewigen Jagdgründe eingehen. Doch stattdessen sprangen die Münzen in meinem kleinen Beutel wie Fische in einem Fluss. Für Namenlos.
    Eines Tages kehrte ich heim, und ihr langes Haar war nass. Sie keuchte. Ihr Gesicht leuchtete wie die Sonne. Sie hatte sich zum See hinuntergeschlichen, um zu schwimmen. Das war schlecht, schlecht. Die Männer in Templeton sind raue Siedler, ein junges Indianermädchen ist für sie kein Mensch, sondern Beute. Doch ich hatte nicht das Herz, sie zu schelten. Hätte sie aufhalten sollen. Aber ich tat es nicht. Fühlte mich so alt angesichts solcher Freude.
    Das ganze Frühjahr hindurch kam sie zurück, mit nassem Haar. Eines Tages dann geschah etwas. Sie war noch wilder als sonst, zitterte am ganzen Körper auf ihrem Lager, die Zähne zu einem Lächeln entblößt. Ich konnte die Freude spüren, die von ihr ausging. Fragte und fragte sie, was passiert sei. Sie gab mir keine Antwort. Drehte mir nur den Rücken zu und lachte ihr stilles Lachen, so seltsam wie das von Davey.
    Und ich beobachtete sie. Zehn Tage vergingen, bevor ich es ihrem Körper ansah. Zwölf Jahre alt, unverheiratet, sieben Jahre lang in einer Hütte eingesperrt, und sie trug ein Kind unter dem Herzen.
    Wer war es? Ein Verdacht nistete sich in mir ein. Aber ich sagte nichts. Sie

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