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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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einlegte und unter rücksichtsloser Gefährdung des Lebens der Eintagsfliegentouristen durch die Straßen sauste, so schnell, dass es ihnen beim Vorbeifahren die Baseballkappen vom Kopf wehte und die Schläger, die sie sich lässig über die Schulter geworfen hatten, klackend zu Boden fielen. Wir rasten die River Street hoch, zu unserer Linken wälzte sich der Susquehanna in seinem Bett, stark angeschwollen nach den Gewittern des vergangenen Tages, und dann hielt meine Mutter bereits unter dem Dach des Carports vor der Notaufnahme. Sie setzte mich in einen Rollstuhl und schob mich vorbei am Aufnahmetisch und zum diensthabenden Arzt, der gerade dabei war, einem kleinen Jungen die Schulter wieder einzurenken. Meine Mutter beschrieb ohne Umschweife, was gerade mit mir passiert war, und der kleineJunge riss dermaßen die Augen auf, dass es aussah, als würden sie gleich aus den Höhlen treten, und ich stellte mir das saftige Ploppen vor, das die Augäpfel machen würden, wenn das wirklich passierte, wie wenn man auf eine Weintraube drückt, um sie zum Platzen zu bringen, und eine klebrige Ladung Saft einen trifft. Der diensthabende Arzt überließ den Jungen mit der ausgekugelten Schulter seinem Kollegen aus dem Praktikum, folgte meiner Mutter in den Untersuchungsraum und half ihr, mich auszuziehen, und dann, weil die Stimme meiner Mutter einen schrillen Ton angenommen hatte und immer lauter wurde, verbannte er sie ins Wartezimmer, wo eine ihrer Freundinnen mit den geschwollenen Knöcheln sie in die Arme nahm. Während sich der Vorhang schloss, führte mich der Doktor mit den müden Augen hinter der ultramodernen Brille zu dem mit Papier bezogenen Bett, und dann sagte er mir mit einer Stimme, die ganz ruhig und flach war wie ein Teller, ich solle mich zurücklehnen und entspannen, und dann schauen wir mal, was wir machen können, und jetzt entspannen Sie sich, meine Liebe, lassen Sie mich nachschauen, und entspannen Sie sich, entspannen, entspannen, Liebes, entspannen Sie sich …

Nach dem Sturm
    Nach dem Ultraschall, der eine Schneckenspur aus Glibber auf meinem Bauch zurückließ, nach dem Gespräch mit einem seltsamen, zerknitterten Psychologen, der nach Popcorn und Schlaf roch, wartete ich, zitternd in meinem papierenen Krankenhaushemd, darauf zu erfahren, ob ich das Klümpchen verloren hatte. Ich dachte an Clarissa, an Vi, an den Geist in meinem Zimmer, der ganz dick und warm seine Kreise um mich zog, um mich von dem Gedanken abzulenken, ob denn das Klümpchen noch da drin war und bloß an den Handgelenken blutete, weil es den Gedanken nicht ertragen konnte, von einer Mutter in die Welt gesetzt zu werden, die eine solche Idiotin war. Ich stellte mir vor, wie es einen kleinen Knoten in die Nabelschnur geknüpft hatte und seinen Sternmullkopf hindurchgesteckt hatte.
    Die Zeit tickte weiter im Krankenhaus. Im Stockwerk darüber hörte ich leises Auf- und Abgehen, das typische Schlurfen und Ziehen eines schlaflosen Patienten, der am Tropf hing. Die Schuhe der Krankenschwestern knarzten, man hörte leises Gemurmel, und ab und zu kam eine Brise Kaffeeduft aus der Cafeteria am Ende des labyrinthischen Flurs.
    Und unter dem Gewicht all dieser Zeit, die ich allein verbrachte, dachte ich an unser Seeungeheuer, an jene Jahrhunderte unter den dunklen Wassermassen, an seine gewaltige Einsamkeit, und hätte am liebsten um das arme, liebe Tier geweint. So ein langer, langer Zeitraumund eine solche Kälte. Flimmy, wie er sehnsüchtig zur Wasseroberfläche und den dahinflitzenden Booten spähte, genau so, wie wir auf blinde Fernsehbildschirme schauen und nur unser eigenes Spiegelbild sehen.
    Schließlich kam meine Mutter herein, mit gesenktem Kopf, sodass ich die Zickzacklinie ihres Scheitels sehen konnte. Ich suchte ihren Blick und hielt den Atem an, als sie den Stuhl nahm, ihn an die Seite meines Bettes zog und sich setzte. Sie nahm meine Hand und küsste sie.
    «Ich hab’s also verloren», sagte ich. «Okay.» Ich fühlte mich nur wie betäubt, aber weder bestürzt noch erleichtert.
    Doch meine Mutter sagte lange Zeit nichts, sondern schaukelte nur ein bisschen auf ihrem Stuhl herum, die Augen geschlossen. Ich vermutete, dass sie in ein stilles Gebet versunken war.
    Schließlich machte sie die Augen auf und räusperte sich. Dann sagte sie scheu: «Als du herausgefunden hast, dass du schwanger bist, hast du da einen Test gemacht, Sunshine?»
    «Ach so. Nein», sagte ich. «Kein Test.»
    «Warum nicht, Schatz?», wollte sie

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