Die Monster von Templeton
kann», sagte sie.
«Und das hast du von mir.»
«Und es macht dir nichts aus, dich um Clarissa zu kümmern?»
«Ich liebe Clarissa», erwiderte sie.
«Ach so. Jetzt verstehe ich», sagte ich und setzte mich endlich auf. «Deine Lieblingstochter kommt zurück, damit du die andere Versagerin endlich loswerden kannst. Ich verstehe schon, wie das geht. Du ersetzt mich durch eine bessere Kandidatin.»
Vi schnaubte. «Bis jetzt hat es für mich nicht so ausgesehen», sagte sie. «Aber jetzt, wo du es sagst, könnte ich mir vorstellen, dass ich genau das tue. Ich kann es gar nicht erwarten. Ein Kind, das mir den ganzen Respekt entgegenbringt, den ich verdiene. Ein Traum geht in Erfüllung.» Sie zog das Deckbett herunter und wartete, bis ich grummelnd aufgestanden war und ein Paar Trainingshosen angezogen hatte.
Meine Mutter beobachtete mich und knetete die Bettdecke, bis ich mich schließlich herumdrehte und sie stirnrunzelnd ansah. «Was denn?», fragte ich.
«Nichts», sagte sie. «Ich muss jetzt bloß gleich zur Arbeit und wollte mich vergewissern, dass es dir gut geht.»
«Mir geht’s gut», erwiderte ich.
«Bist du sicher?», fragte sie. «Kann ich dir irgendwie helfen?»
«Nein, Vi», sagte ich. «Es wird mir helfen, mich wieder an die Arbeit zu machen. Es wird mich ablenken. Von all dem.»
«Genau das wollte ich gerade sagen», antwortete Vi und wandte sich zum Gehen. «Du wirst immer schlauer auf deine alten Tage. Ich hab dir Zimtwecken gemacht. Sie sind noch warm.»
«Und du wirst immer netter auf deine alten Tage», rief ich ihr hinterher und lauschte ihren Schritten auf der knarzenden Treppe. Ich lief auf den Treppenabsatz hinaus, als sie unten angekommen war. «Vi?», rief ich hinunter. Sie schaute zu mir hoch, und ihre Hängebäckchen verschwanden, als sie den Kopf in den Nacken legte.
«Tut mir leid, wenn ich das noch nie gesagt habe», rief ich. «Ich bin sehr glücklich darüber, dass du glücklich bist. Dass du es endlich zulässt, glücklich zu sein.»
Meine Mutter beugte den Kopf, und ich schaute von oben zu, wie ihr dicker Zopf sich schützend um ihren Nacken legte wie die Halskrause einer Rüstung. «Danke», sagte sie leise. Und als sie zu mir hochblickte, strahlte sie mich an und zeigte ein so sonniges Lächeln, dass auch mein Herz einen winzigen Moment lang nach oben flatterte.
Es war Samstag und immer noch früh am Tag, als ich Hazel Pomeroy zu Hause anrief. Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem kleinen Cottage am See zum Telefon schlurfte, in einem zerschlissenen Morgenrock mit Paisleymuster, grummelnd. Sie antwortete nicht mit dem üblichen Hallo, sondern mit einem eher ruppigen: «Was ist?»
«Ms. Hazel Pomeroy», sagte ich. «Ich bin’s, Willie Upton. Tut mir leid, Sie zu stören, aber ich hab etwas, das ich Ihnen vorlesen möchte, wenn ich darf.»
Hazel stieß einen gewaltigen Seufzer aus und sagte: «Lassen Sie mich schnell meinen Tee holen.» Ein leises Klicken erklang, als sie den Hörer auf den Tisch legte, und dann dauerte es ziemlich lange, bis Hazel wieder zurückkam.
«Wenn ich gewusst hätte, dass Sie erst noch Wasser aufsetzen müssen, Hazel, hätte ich Sie zurückgerufen», sagte ich, als ich sie endlich wieder in den Hörer atmen hörte.
«Von wegen», erwiderte sie entrüstet. «Ich bin eine alte Dame und hab Sie einfach vergessen. War reines Glück, dass ich herauskam und den Hörer neben dem Telefon liegen sah. Aber jetzt lesen Sie doch mal vor.»
Ich las ihr die Geschichte laut vor, und am Ende sagte sie: «
Schatten und Fragmente,
hm. Das kenne ich gut. Nun, und was wollen Sie mir damit sagen?»
«Nichts. Es ist nur … Na ja, Sie haben mir ja gesagt, ich solle zwischen den Zeilen lesen, und offenbar geht zwischen diesen Zeilen hier besonders viel vor. Glauben Sie, Richard ist möglicherweise der bärenähnliche Typ, von dem JFT da schreibt? Glauben Sie, das wäre möglich?» Mein Herz raste; ich hatte das Gefühl, dem Ende der Geschichte außergewöhnlich nahe zu sein.
Sie seufzte. «Ach, Willie», sagte sie. «Das hätte ich Ihnen schon vor langer Zeit sagen können. Ich glaube wirklich nicht, dass etwas Derartiges geschehen ist. Ich glaube, die Geschichte ist reine Erfindung, in gewisser Weise Wunschdenken. Sein ganzes Leben lang war Jacob sehr, sehr böse auf seinen Bruder, wissen Sie. Weil er der Erstgeborene war und der Liebling des Vaters. Und dann, nachdem Jacob das gesamte Familienvermögen durchgebracht hatte, rief Richard Jacob aus Europa
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