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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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während ich um sie herumtrat, um die alte Treppe hochzusteigen, und sah, wie sie da eng umschlungen standen, zwei unattraktive, alternde Körper, verspürte ich einen Moment lang den finstersten Neid, den ich in meinem ganzen Leben empfunden hatte.
    Als ich erwachte, herrschte draußen ein grau verfilzter, verregneter Tag, der Geruch nach Auguststaub, der langsam zu Schlamm durchweichte, lag in der Luft. Obwohl ich normalerweise im Morgengrauen aufstand, lag ich bis lange nach acht im Bett und lauschte dem Klopfen des Regens, der vom Dach tropfte. Wenn ich die Augen geschlossen hielt, das wusste ich, würde ich irgendwann wieder einschlafen. Und wenn ich dann genug geschlafen hatte, würde ich die Geschichte vom vermeintlichen Klümpchen vergessen und nicht mehr daran denken, wie es mein Denken und meinen Körper in Mitleidenschaft gezogen hatte; ich würde Primus Dwyer und diesen beunruhigenden Ezekiel Felcher vergessen; ich würde Reverend Milky aus meinen Gedanken verbannen, der immer noch bei uns herumhing; und ich würde alles vergessen, was mit meinem Erzeuger zusammenhing und mit den vielen, chaotischen Jahrhunderten meiner chaotischen, allzu chaotischen Familie.
    Gerade wollte ich all das dem Klümpchen erzählen, denn ich hatte mich an unsere kleinen Zwiegespräche gewöhnt, als mir einfiel, dass es so etwas wie das Klümpchen gar nicht gab und nie gegeben hatte. Und so konzentrierte ich mich darauf, mich selbst in ein fünf Tage währendes Koma zu versetzen; lange genug, wie ich mir vorstellte, um den Schmerz aus dem Krankenhaus nicht mehr so stark zu spüren, lange genug, um den ersten Tag an der Uni verstreichen zu lassen, während ich mich immer noch auf der falschen Seite des Kontinents befand. Doch bevor ich auch nur ansatzweise in dieses Koma eingetretenwar, klopfte meine Mutter an die Tür und kam in mein Zimmer. Sie stand über das Bett gebeugt und nestelte an den Perlmuttknöpfen der seltsam ausgebeulten, orangefarbenen Strickjacke, die sie trug.
    Schließlich seufzte ich und hörte auf, mich schlafend zu stellen. «Was hast du denn da an?», fragte ich.
    Sie blickte an sich hinab und zupfte ein paar Flusen ab. «Die da?», fragte sie. «Die hat mir John zu Weihnachten gestrickt. Sie ist sehr warm.»
    «Er
strickt
?», fragte ich.
    «Müßige Hände», sagte sie, «sind Werkzeuge des Teufels. Apropos», sagte sie und schüttelte meinen Fuß unter der Bettdecke. «Du Teufel, du. Raus aus den Federn. Du hast noch ganze vier Tage, bis du zurück nach Palo Alto musst. Nur vier Tage, um deine kleinen Nachforschungen abzuschließen.»
    «Kommt nicht infrage. Ich kann nicht nach Kalifornien zurück», sagte ich. «Ich kann einfach nicht, Vi.»
    Meine Mutter setzte sich auf das Bett, das quietschte und sich unter ihrem Gewicht durchbog. «Wilhelmina Sunshine Upton», sagte sie. «Du musst zurück. Deine Doktorarbeit fertig schreiben, aus diesem Kaff hier herauskommen. Ich hab dich nicht über die Hälfte meines Lebens auf die Schule geschickt, damit du jetzt, kurz vor Schluss, noch das Handtuch schmeißt. Kommt nicht in die Tüte.»
    «Aber Vi», erwiderte ich. «Dort ist
Primus

    «Du bist stärker als er», sagte sie. «Und ehrlich gesagt, ist mir das auch egal. Ich kann es gar nicht glauben, dass ich dich wirklich beackere, Templeton zu
verlassen
, nachdem ich die ganze Zeit Angst hatte, du würdest nie zurückkommen, aber du musst nach Stanford zurück, Willie. Du bist doch kein Mensch, der einfach die Flinte ins Korn wirft. Du wirst am Boden zerstört sein, wenn du aufgibst. Davon wirst du dich nie erholen.»
    «Aber was ist mit Clarissa?», fragte ich. «Jetzt wo sie hierherkommt, braucht sie mich doch hier.»
    Meine Mutter machte ein Pupsgeräusch mit den Lippen. «Na komm schon», sagte sie. «Sie braucht alles und jeden
bis auf dich.
Sie braucht Ruhe und Frieden und jemanden, der sich nur um sie kümmert. Ich kann gut genug auf sie aufpassen. Vertrau mir.»
    Darüber dachte ich einen Moment lang nach und wunderte mich über die Erleichterung, die plötzlich über mich hereinschwappte. Ich schaute Vi an, doch irgendwie schien mir ihr Gesicht weniger müde auszusehen als noch vor einem Monat, als ich knietief in der Schande nach Templeton zurückgekehrt war, gerade so, als hätten all meine Schwierigkeiten sie verjüngt.
    «Du liebst Herausforderungen», sagte ich. «Stimmt’s?»
    Sie zog einen krummen kleinen Flunsch. «Ich bin immer am glücklichsten, wenn es etwas gibt, worum ich kämpfen

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