Die Monster von Templeton
Kaugummi, der beim Kauen seine süßen, süßen Tentakel unsere Kehle hinab ausstreckt, und die warme Brise, die unsere Shorts hochweht, und das leise Vibrato der Eistaucher am See und die Sonne und die Sonne und die warme Sonne, und das war es, was wir spürten; die Sonne.
George Franklin Temple Upton (Viviennes Vater) 1935
Im Alter von zwei Jahren, zusammen mit zwei Waisenmädchen in Pomeroy Hall. Man beachte die altmodische Kleidung, die die Kinder tragen und die damals schon lange aus der Mode war. Das war durchaus Absicht: Seine Großmutter Hannah Clarke Temple, die George aufzog, war als Direktorin des Waisenhauses der Meinung, solche Kleidung erinnere potenzielle Eltern an ihre eigene Kindheit und mache sie dadurch eher bereit zur Adoption.
Geheimnisse einer kleinen Stadt
Kaum war das Ungeheuer an der Oberfläche, kamen die Menschenmengen.
Von der Hauptstraße kamen sie mit ihren Taschen voller Baseballandenken, mit ihren Country-Club-Schlägern, mit ihren Kameras. Im heller werdenden Julimorgen wuselten und staunten sie, sie nippten an ihrem Kaffee, schlurften in ihren Slippern herum, und manche, die spürten, was für ein geschichtsträchtiger Moment das war, weinten, und die anderen sahen, wie sie weinten, und weinten noch lauter. Dort in der anschwellenden Menge war die Niedergeschlagenheit, die mich beim Berühren des Ungeheuers erfasst hatte, wie weggeblasen. Jeder hätte unter diesen Menschen sein können: frühere Liebschaften aus der Highschool, die sich einen Bauch zugelegt hatten und Republikaner geworden waren, Mädchen aus meiner Fußballmannschaft, die zu erkennen mir schwerfallen würde; alte Hausärzte, die eindeutig zu viel über meine körperlichen Funktionen wussten. Als ich meinen betagten Direktor aus der Grundschule, einen glatzköpfigen kleinen Elf von einem Mann, auf mich zukommen sah, die Arme ausgestreckt und breite Tränenspuren auf dem Gesicht, kurz davor,
Willie! Du bist wieder daheim!
auszurufen, drehte ich mich auf dem Absatz um und trat quer durch das Grundstück der Nachbarn die Flucht an, über die Shadow Brook Bridge, den Hügel hoch und bis zu dem coolen, orange eingefärbten Flokati im Siebzigerjahreflügel des Averell Cottage. Ichkonnte es einfach nicht ertragen, ihnen entgegenzutreten, noch nicht.
In einer Stadt, irgendeiner Stadt, kann man anonym bleiben; das ist der große Segen von Städten. In Templeton, unserem kleinen Kaff, war ich Willie Upton; Nachkommin der großen Familie Temple; ein Star der Aschenbahn und des Bolzplatzes; eine Königin, die nach Hause zurückkehrt; ein Mädchen aus dem Ort, das den Absprung geschafft hat; und das schon bald zur großen Enttäuschung für alle werden würde. Ich lehnte mich gegen die kühle Fensterscheibe, bis mein Herz aufhörte, in meiner Brust herumzuhüpfen wie ein angestochener Frosch. Bis ich mich schließlich, Schritt für Schritt, durchs ganze Haus schleppte, die knarzende Treppe hoch, durch den Flur, der mit Porträts meiner vielen, vielen Vorfahren vollgehängt war, bis hoch in mein Mädchenzimmer. Das Zimmer war Teil des ursprünglichen Cottage und war bereits von meiner Mutter bewohnt worden, als sie noch ein Mädchen war. Seither war nichts darin verändert worden. Hinter den gerahmten Stickereien waren die Wände noch altrosa, an den Stellen, wo die Sonne hinkam, jedoch blasslavendelblau. Die Pfingstrosen auf den Vorhängen waren nur noch als vage Schatten zu erkennen. Es gab ein riesiges Himmelbett und ein altmodisches Telefon mit Wählscheibe. Nachdem ich mit meinem Graduiertenstudium begonnen hatte, waren die Poster, die ich an die Tür und die Schränke gepinnt hatte, abgenommen worden, die Stofftiere hockten ordentlich geschichtet in dem alten Stubenwagen in der Ecke, meine Bücher standen in Reih und Glied auf dem Regal, und meine Sporttrophäen waren in einen Karton gepackt und irgendwo auf dem Dachboden vergessen worden. Eine fingerdicke Schicht Staub bedeckte alles. Den Lärm der Menschenmenge im Lakefront Park im Ohr, der an- und abschwoll, zog ich die Jalousien herunter, um das Tageslicht auszusperren.
In der gnädigen Dunkelheit setzte ich mich aufs Bett und streifte die Schuhe ab, und als ich aufblickte, sah ich etwas, das ganz sanft pulsierendin der Ecke saß. Es war der Geist von Averell Cottage, das wusste ich. Für meine Mutter hatte er immer wie ein Vogel ausgesehen; in meinen Augen jedoch war es eine Art ausgewaschener Tintenfleck, ein lila Schatten, der so unbestimmt und scheu war, dass
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