Die Monster von Templeton
werde.»
Flirtete sie etwa mit ihm? Vielleicht tat sie das ja wirklich. Um ehrlich zu sein, war Vi ein bisschen schwindelig von den Farbdünsten, und Sols Hände waren so nass vor Aufregung, dass er es gar nicht bemerkte. Damals gab es noch keinen Anbau in Averell Cottage, keine großen Glastüren, die sich auf die herrliche Vorfrühlingswelt da draußen öffneten – diesen großen architektonischen Fehler würde meine Mutter erst begehen, als ich sechs war –, weshalb Vivienne den jungen Sol Falconer durch die Küche direkt ins Freie hinausgeleitete und ihn an einem alten schmiedeeisernen Tisch platzierte, von dem der Rost abblätterte.
«Setzen Sie sich», sagte sie. «Und rühren Sie sich nicht.»
Und sie flitzte hinaus und wieder hinein, mit Tomatensalat und frisch gebackenem Brot und Joghurt, den sie ebenfalls selbst zubereitet hatte, und einer großen Flasche Wein und einem Teller mit ihrem Thunfischsalat nach eigenem Rezept, auf dem auch ein Salatblatt als Garnitur nicht fehlen durfte.
Schließlich nahm sie selber Platz und trank erst einmal ein ganzes Glas Wein in einem Zug. «Essen Sie», sagte sie zu Sol Falconer, der dieMahlzeit mit hungrigen Augen betrachtete – er hatte den ganzen Tag gearbeitet, mittlerweile war es drei Uhr nachmittags, und sein Vater gab ihm über Mittag nie frei, höchstens fünf Minuten, in denen er ein Sandwich runterwürgen konnte, und selbst dafür war heute keine Zeit gewesen – und sich darauf stürzte. Er spülte jeden Bissen mit einem Schluck des herben Weins hinunter. Nach etwa zehn Minuten hatte er den Knoten seiner Krawatte gelöst. Nach fünfzehn Minuten war ihm ganz leicht zumute, und er nahm plötzlich wahr, dass die Kirschbäume auf ihre uralte, liebenswerte Weise kurz vor der Blüte standen; und er sah es, als hätte er in seinem ganzen Leben noch keine Knospe gesehen. Und vielleicht hatte er das ja auch nicht. Damals fehlte ihm einfach die Zeit, um sich an etwas zu freuen; der Generation der Liebe hatte er nie angehört, nur zu ihrer Musik tanzte er manchmal bei leise gestelltem Radio im großen Haus seiner Eltern.
Vivienne, die fröhlich vor sich hin süffelte, schaute ihrem gut aussehenden Gast beim Kauen zu und stellte ihm eine Frage, sobald sie den Eindruck hatte, er gerate ein wenig außer Fahrt. «Und wer sind nun Sie, Mr. Falconer?», sagte sie.
Bei ihm brachen jetzt alle Dämme. Er erzählte ihr, er habe gerade in Harvard seinen Abschluss gemacht, sowohl den Bachelor of Arts als auch den in Betriebswirtschaft, und sei fünfundzwanzig Jahre alt. Seine Familie komme nur im Sommer in das alte Haus nach Templeton; die übrige Zeit lebe sie in Wisconsin und leite die Brauerei. Diesen Sommer seien sie früh hier angekommen, und sein Vater habe beschlossen, ihn zu seinem persönlichen Handlanger zu machen, und so arbeite er sich den Arsch ab, ohne Geld dafür zu bekommen, bloß damit ihn sein Vater in die Geschäfte einführte; dabei könne, offen gesagt, auch ein Affe diese Geschäfte führen, Bier gehöre zu den Dingen, die die Leute immer trinken würden, und außerdem könne er sich nicht vorstellen, wieso das Abholen von geschmuggelten Zigaretten an überaus finsteren Stellen in Manhattan etwas mit der Einführung ins Biergeschäft zu tun haben könnte, aber er mache es trotzdem,Hauptsache, der alte Esel würde ihm das Geschäft hinterlassen, wenn er mal den Löffel abgab.
«Oh», machte Vivienne und nickte zwischendurch immer wieder. Die Sonne sank ein wenig tiefer, und die Schatten bewegten sich von den Stellen weg, an denen sie sich aufgebaut hatten. Jetzt, wo das Sonnenlicht verschwunden war, wurde der Frühlingstag wieder zum Winter, und eine eisige Brise erhob sich vom See. Sol schien sich so wohlig warm in seiner Geschichte zu fühlen, dass Vi es nicht übers Herz brachte, ihn zu fragen, ob sie reingehen sollten. Stattdessen trank sie einfach weiter, um sich von innen anzuwärmen.
In seinem eindeutig beschwipsten Zustand lehnte sich Sol Falconer jetzt in seinem Stuhl zurück und holte noch einmal aus. Jedenfalls habe ihm der alte Knacker jetzt den Auftrag gegeben, alte Immobilien in Templeton aufzukaufen, um dafür zu sorgen, dass sie nicht in die Hände von Hinz und Kunz gerieten und alles vor die Hunde ging, weil man Fastfoodrestaurants und Einkaufszentren daraus machte, und, offen gesagt, als er gehört hatte, dass Vi möglicherweise Averell Cottage verkaufen wolle, habe sein Vater von seinem Thron heruntergebellt – wobei es sich um die
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