Die Monster von Templeton
Arien. Vivienne hatte die Fenster von Averell Cottage weit aufgestoßen, um die frische Märzluft hereinzulassen. Sie trug ein rotes Hippietuch um den Kopf, und in jenen Tagen des Anstreichens und Tapetenabreißens und Großputzes in dem Haus, das sie so rasch wie möglich verkaufen wollte, verlor sie einiges von ihrem Babyspeck. In den letzten paar Wochen hatte sie eine seltsame Art von Drogenentzug durchlebt, durch den sie zitterte und ganze Wochen nicht richtig schlafen konnte, aber am Ende war wie durch ein Wunder ihre Akne verschwunden. Vielleicht, dachte sie, war sie auf Cannabis allergisch gewesen. Vielleicht hatte es sie auch allergisch gemacht, sich nie das Gesicht zu waschen. Wieder daheim, war sie in genau den Trott gefallen, mit dem sie aufgewachsen war: obsessive Reinlichkeit und Ordnung als höchstes Gebot.
Mit seinem Faible für Sauberkeit war der Geist angetan von der neuen Hausbewohnerin und zeigte sich Vi wieder, beifällig wie eine Taube gurrend, wenn sie mit einem Lappen in der Hand vorbeikam. Die zarten Federn des Geistes sammelten sich unter dem Bett, und sein Flaum schwebte zwischen ihren Füßen wie Dunst, wenn sie durchs Haus ging.
Dann kam der Tag, an dem Vi eine wackelige Leiter in die Diele schob, und während sie weiße Farbe auf die vergilbte Decke strich, sang sie:
Sum-mer time, , , whoo-hoo, the living’s eeeasy.
So krähte und summte sie vor sich hin. Von Gershwin war sie wie besessen. Auf dem Boden hatte sie einen alten Lumpen ausgebreitet, sodass sie sich nicht allzu sehr um Tropffarbe kümmerte, doch als sie nach unten schaute, stand da ein Mann und hielt die Leiter, und ganz oben auf seinem rot gelockten Haarschopf thronte ein Farbspritzer, der aussah wie Vogelkacke.
«Hoppala», sagte sie und strahlte auf seinen Anzug aus grauer Schurwolleund die säuberlich in einen Windsorknoten gelegte Krawatte hinab. «Wer sind Sie denn?»
Durch seine dicken rötlichen Locken spürte er den Farbklecks offenbar nicht, denn der Mann blinzelte nur verwirrt zu ihr empor. «Wie meinen?», fragte er. Und fügte dann, als sie ihn erwartungsvoll anschaute, hinzu: «Ich bin Sol. Solomon Falconer. Der Fünfte.»
«Okay», sagte Vi. Und dann: «Ach so. Dann sind Sie ja der Biertyp. Der Biererbe.»
«Na ja», antwortete Sol. «Ja?»
Die beiden starrten sich noch eine Weile an, bis Vi nachdenklich zu sich sagte:
«Ihn vorbeigehen zu sehen gibt so viel wie das beste Gedicht, vielleicht sogar mehr.»
«Wie meinen?», stotterte Sol. «Wie bitte?»
«Oh, ich bin unhöflich», sagte sie. «Das war Walt Whitman. Ein großer Dichter.»
«Oh, ich kenne Whitman», sagte Sol. «Hab allerdings seit dem College nichts mehr von ihm gelesen. Ist Ewigkeiten her.»
Vi legte ihren Farbroller ab und strahlte Sol von oben an. «Ein Freund von Whitman ist auch mein Freund», sagte sie. «Sie sehen aus, als hätten Sie Hunger. Wollte mir gerade was zum Mittagessen machen. Ich hab zwar nur selten Gäste, aber gestern hab ich ein paar wunderbare Tomaten im Gemüseladen aufgetrieben. Ich bin Vivienne Upton.»
Dann stieg sie die Leiter hinunter und schüttelte Sol die Hand, und er wischte sich heimlich mit dem Taschentuch die Farbe ab, als er ihr in die Küche folgte. «Danke schön», sagte er überrascht. «Das Angebot ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich bin aus geschäftlichen Gründen hier. Ich möchte Ihnen einen geschäftlichen Vorschlag machen. Wenn Sie wollen.»
«Geschäftlich», sagte Vi, als schmeckte das Wort bitter. Sie stellte eine Flasche Olivenöl auf den Küchentresen und schnupperte am Strunk einer Tomate. «Ich hab Hunger. Wen kümmert da das Geschäft?»
«Oh», sagte Sol Falconer. «Na ja, ich hab’s studiert. Ich meine, ich studiere immer noch. Wirtschaft, meine ich.»
«Ich nicht», erwiderte sie. «Für mich gibt es nichts Uninteressanteres», fügte sie hinzu und legte die Stirn ein wenig in Falten.
Zwischen ihnen entstand ein unbeholfenes Schweigen, und Sol schaute zu, wie Vi die Tomate sorgfältig viertelte. «Also», sagte er.
«Darf ich das so verstehen, dass Sie kein Interesse daran haben, Averell Cottage zu verkaufen?»
«Ach so», sagte Vi und blickte auf. Ihre Augen funkelten. «Das meinen Sie also mit geschäftlich. Na ja, vielleicht bin ich ja doch interessiert. Aber jetzt setzen Sie sich doch erst mal. Was soll’s, und machen Sie die Flasche Wein da auf. Erzählen Sie mir von sich, Mr. Sol Falconer. Ich möchte den Mann kennenlernen, mit dem ich Geschäfte machen
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