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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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Und dann wieder und wieder und wieder. Fast jede Nacht in meinem kleinen Einzelzelt, in unseren Schlafsäcken, die wir zum Schutz gegen die Kälte des Bodens an den Reißverschlüssen zusammengebaut hatten. Selbst an Tagen, wo es mir sogar zu kalt war, um ein Bad zu nehmen, geschah es.
    Es war eine Art Wahnsinn: dass wir da an diesem unglaublichen, schönen Ort waren, an dem die ganze Zeit die Sonne schien. Mit all diesen Zugvögeln, die über uns am Himmel kreisten, ihren berauschenden Farben inmitten einer kargen und wie halb leeren Landschaft.
    Unsere Ausgrabungen kamen gut voran, zwischen den Jungs aus Harvard und uns herrschte ein kameradschaftliches Verhältnis, und selbst das Essen war ausgezeichnet, weil einer der Graduierten aus Harvard Gourmetkoch gewesen war, bevor er seinen Beruf für die hehre Wissenschaft an den Nagel hängte. Die Arbeit selbst war hart und anstrengend, und am Ende eines langen Tages fühlte es sich einfach gut an, mit jemandem zu kuscheln. Außerdem verlor Primus in der Sonne seine Unscheinbarkeit. Durch die Arbeit wurde er härter, ein dichter Flaum bedeckte sein fliehendes Kinn, und ganz plötzlich war Primus Dwyer richtig klasse, und nicht nur in meinen Augen.Einer der Doktoranden aus Harvard, ein ausgesprochen männlicher Schwuler, fing an, ihn «Mr. Zum-Sterben-schön» zu nennen. Ich nahm das ab, was ich zugenommen hatte, sogar mehr noch, sodass sich meine Muskeln straff unter der braunen Haut abzeichneten. Ich wusste, dass ich gut aussah. Und da in der Tundra nur sehr wenig unbemerkt gevögelt wird, war es vielleicht auch unvermeidlich, dass die anderen wussten, was da vor sich ging. Die Typen aus Harvard kannten natürlich alle Primus Dwyers Frau; schließlich gab es die schon lange. Sie schienen irgendwie an mir vorbeizuschauen, wenn sie mit mir sprachen.
    Die Zeit, in der ich mir Sorgen machte, weil meine Periode ausblieb, kam und ging. Ich dachte:
Keine Sorge, das passiert doch ständig, ist einfach die Ernährungsumstellung.
Und dann kam wieder der Zeitpunkt, wo sie fällig gewesen wäre, und verstrich erneut. Außerdem war mir oft schlecht.
    Doch genau in der Zeit, als mir oft schlecht war, fanden wir die Speerspitze. Und dann, einen Tag später, das Skelett. Beide Prä-Clovis. Unser Osteologe vollführte ein Freudentänzchen; schon bei einem Blick auf die Zähne war er fast sicher, dass das Skelett auf direkte sibirische Vorfahren schließen ließ; und John, unser Spezialist für Biofakte, sagte, die Samen, die noch in der Magengegend des Skeletts zu sehen waren, stammten von einer Pflanze, von der er sich fast sicher war, dass sie in der Gegend dort oben seit mindestens 22.000 Jahren ausgestorben war. Der Ausgrabungsleiter aus Harvard hatte ein Buschflugzeug angefordert, und wir warteten im Landrover an der Landebahn, um uns von ihm zu verabschieden, weil er nach Nome und dann nach Anchorage fliegen würde, um an der dortigen Universität einige Funde einer Radiocarbonuntersuchung zu unterziehen.
    Wir alberten herum und überlegten gerade, ob wir ein kleines Ballspielchen improvisieren sollten, als über den Wind hinweg ein Motorengeräusch laut wurde, und wir bereiteten uns alle darauf vor, dem Harvard-Prof vor seinem Flug nach Anchorage Adieu zu sagen. Oberhalbdes Horizonts wurde das Flugzeug von einem kleinen Punkt zu einem großen Punkt, es landete und rollte aus. Der Pilot stieg aus, noch während die Propeller sich drehten, doch sein Gesicht war bleich und verkniffen. Er ging hinüber zur Beifahrerseite und machte die Tür auf.
    Heraus sprang – die Lustfeindliche Ziege.
    Sie marschierte mit ihrem knochigen Hintern direkt auf mich zu und baute sich vor mir auf. Zu dem Zeitpunkt hatte der gute Doktor Primus Dwyer bereits den Arm von meiner Schulter genommen und sich davongeschlichen. Seine Frau zog ihre kalte Hand aus ihrem fingerlosen Handschuh, schob den Ärmel ihres wattierten Wintermantels – völlig unnötig bei dem Wetter – hoch und schlug mir mitten ins Gesicht. Mir klappte die Kinnlade herunter, und dann ging sie hinüber zu ihrem Ehemann und zerrte ihn unter wütendem Zischen weg von den anderen. Ich sah ihnen hinterher. Meine Wangen fingen an zu brennen. Die Harvard-Typen und John schauten verblüfft zu.
    Das war der Punkt, an dem ich ein bisschen durchgedreht bin. Ich ging schnurstracks zu dem Buschflugzeug, stieg ein, schlug die Tür hinter mir zu, legte irgendwie einen Gang ein und fing an, hinter Primus Dwyer und seiner Frau hinterherzufahren. Er

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