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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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irgendjemand in Stanford mir in meinem Fach helfen konnte, dann er.
    Was sie jedoch nicht wusste, war, dass wir ihn, in einer Mischung aus Verehrung und Respektlosigkeit, «Kröterich» nannten. Das passte zuseinen karierten Westen und dem Bierbauch, zu seiner Taschenuhr und dem britischen Akzent, zu seiner glänzenden Nase und dem unvorteilhaft fliehenden Kinn. Außerdem fuhr er einen neuen, roten VW-Käfer, und jedes Mal, wenn wir ihn darin den Memorial Drive entlangfahren sahen, fing irgendeiner zu singen an:
Schwulibert, Schwulibert, auf dem Weg nach Haus, deine Nase ist die Feuerwehr, und dein Kinn, das ist ein Graus.
Vielleicht war es ungerecht, aber wir gaben seiner Frau die Schuld daran, dass er sich so anzog. Sie war klapperdürr, nur Haut und Knochen und schwarzer Kaschmir; außerdem war sie Studentendekanin und bekannt für ihre Eifersucht. Angeblich war es ihm nicht gestattet, die Tür zu schließen, wenn er ein Gespräch mit einer seiner Doktorandinnen hatte, und das alles nur ihretwegen. Bei uns hieß sie nur «Lustfeindliche Ziege».
    Doch Primus Dwyer liebten wir, weil er lustig und freundlich und brillant war. Wir liebten seine halb romantische, halb anmaßende Sichtweise der Archäologie.
Stellt euch die menschliche Geschichte vor,
hatte er am ersten Tag unseres Graduiertenstudienganges gesagt und dabei jedes Wort mit grandiosen, ausladenden Armbewegungen untermalt.
Ein Palimpsest über dem anderen. Je tiefer man kratzt, umso mehr Schichten kann man freilegen.
Und wir hofften – ohne uns freilich allzu große Hoffnungen zu machen –, dass er uns auch mögen würde, denn er hatte zusammen mit ein paar Typen von Harvard von der Regierung eine Menge Geld für eine Ausgrabung in Alaska bewilligt bekommen, und dort würden sie bestimmt was Tolles finden, da waren sich alle sicher.
    Jedes Jahr im Mai feierten der Kröterich und die Lustfeindliche Ziege eine große Party in ihrem schicken Haus in Los Altos Hills, um die Sommerferien einzuläuten. Auf dem Fest wurde auch immer verkündet, welchen der Doktoranden er im Sommer nach Alaska mitnehmen würde, damit er ihm bei den Ausgrabungen half. Jeder betete insgeheim darum, der Auserwählte zu sein, denn, offen gesagt, waren die Projekte des Kröterichs eine ordentliche Vitaminspritze für dieKarrie re, doch noch nie hatte er ein Mädchen ausgewählt, und wir alle wussten, das war wegen Der-die-die-Hosen-anhat. Doch das Haus der beiden war großartig, ganz viel Glas und wuchtige Möbel und eine Aussicht auf Redwood City und Atherton und die Bucht, die einem zu Füßen lagen wie ein Gottesgeschenk. Wir gingen hauptsächlich hin, weil es Essen vom Feinsten und jede Menge zu trinken gab.
    In diesem Jahr war die ganze Fakultät da gewesen und ein Großteil der Verwaltung. Die Kellner vom Catering Service trugen Smoking, der Pool war bei Nacht türkis angestrahlt, und darunter lagen die flimmernden Lichter der Bay. Doch an jenem Tag hatte ich eigentlich beschlossen, nicht hinzugehen. Die Party fand statt, kurz nachdem Clarissa erfahren hatte, dass sie Lupus hatte, und meine Haare waren raspelkurz; ich hatte mit dem Laufen aufgehört, weil mit meinem Knie etwas nicht in Ordnung war. Dadurch hatte ich seit dem Winter etwa zehn Pfund zugelegt; an jenem Abend saß ich nach dem Töpferkurs zu lange an meiner Drehscheibe und hatte meine schmutzigen Kleider an: abgewetzte Jeans und ein Flanellhemd, ganz locker und zerschlissen und mit Ton beschmiert. Ich sah schrecklich aus, überhaupt nicht wie jemand, der auf dem Weg zu einer Party ist. Außerdem war mir glasklar, dass auch dieses Jahr, wie gewöhnlich, der auserwählte Student ein Junge sein würde.
    Doch dann, als mein Töpferlehrer mich in der Werkstatt allein gelassen hatte und ich noch schnell eine Vase auf der Drehscheibe bearbeitete, stellte ich mir die Leute in ihren sexy Klamotten und Anzügen vor, wie sie bei den Dwyers an der Tür klingelten. Ich saß da, schaute dabei zu, wie sich der längliche Tonklumpen auf der Scheibe drehte und drehte, und stellte fest, dass ich nirgendwo auf der Welt lieber sein wollte als auf dieser Party. Ich wusch mir Hände und Gesicht, zog eine saubere Tunika über meine Hose und hoffte, dass sie nicht nur die Lehmflecken verdeckte, sondern ich darin aussah wie eine coole Vertreterin der Boheme und nicht wie die taubenfütternde alte Pennerin, nach der ich mich fühlte.
    Ich schaffte es gerade in dem Moment auf die Party, als Primus Dwyer klimpernd gegen das Weinglas in seiner

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