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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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flirteten, ohne es eigentlich zuzugeben. Wir amüsierten uns köstlich und flüsterten verschwörerisch, weil alle um uns herum schliefen, selbst die Flugbegleiterin auf ihrem kleinen Sitz weiter vorne. Irgendwie hatte die Situation etwas von einer Pyjamaparty. Ich bemerkte zum ersten Mal, dass er Grübchen hatte, was mich überraschte, weil ich immer schon ein Faible für Grübchen gehabt hatte. Weder sah ich seine rote Nase noch das fliehende Kinn. Ich war verzaubert. Dennoch hatte ich den Eindruck, das Ganze sei harmlos, bis genau zu dem Moment, als er mich anschaute, mir die Hand auf den Oberschenkel legte und eine Augenbraue anhob.
    Damals hatte ich zwei Möglichkeiten. Nummer 1: Ich hätte seine Hand sehr höflich wieder auf die Armlehne zwischen uns legen und einfach meinen Satz vollenden können, und wir hätten weiterhin eine schöne Reise miteinander gehabt, ich hätte diesen Sommer meine Rolle als Alibifrau der Truppe gespielt, hätte mich mit allen Jungs aus Harvard angefreundet, und wenn wir im Herbst als siegreiche Eroberer zurückgekehrt wären, hätten sie so viele brüderliche Gefühle für mich entwickelt, dass sie alles in ihrer Macht tun würden, um mir bei meiner Karriere zu helfen.
    Möglichkeit 2: Ich hätte als Antwort ebenfalls eine Augenbraue heben können. Ich wäre in den geräumigen Waschraum der ersten Klasse geschlüpft und hätte auf sein Kratzen an der Tür gewartet. Dann wären wir so richtig unartig gewesen, hätten dabei «Psst! Psst!» gemacht und gekichert, und dann wäre mein rosa Kleidchen hochgerutscht und seine Khakihose runter, und urplötzlich, mitten in diesem leichtfertigenkleinen Unsinn hätte ich zu ihm hochgeblickt und einen lieben, ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen und einen Kuss bekommen, der gar nicht mehr so leichtfertig und albern war. In der hülsenartigen Flugzeugtoilette, während um uns herum die Motoren dröhnten und jenseits der Tür ganze Reihen von Geschäftsleuten vor sich hinschnarchten, hätte ich aufblicken können und einen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen, den ich dort als Allerletztes erwartet hätte, und dann hätte ich gemerkt, wie ich falle, abgrundtief falle.
    An diesem Punkt unterbrach mich Clarissa und sagte mit gedämpfter Stimme: «Du, Willie Upton, bist eine dumme, dicke Idiotin.»
    Es trat eine lange Pause ein, und ich glaube, wir dachten beide daran, es sei vielleicht gar nicht so untypisch für mich, dass ich natürlich die falsche Entscheidung getroffen hatte. Erstens hatte ich einen Hang zu Autoritätspersonen, wie zum Beispiel jenem Professor für Fotografie am College, einem Alkoholiker mit schütterem Haar. In der Dunkelkammer, unter der roten Lampe, während ich zuschaute, wie das gräuliche Gesicht einer Frau, die ich auf der Straße geknipst hatte, in dem Chemiebad langsam sichtbar wurde, war der Professor hinter mich getreten und hatte seine Hand auf meinen Bauch gelegt. Unsere seltsame Amour fou hatte zwei Semester angedauert, bis er schließlich wegen Trunkenheit am Steuer gefeuert worden war. Dann hatte ich eine Schwäche für lustige Typen entwickelt, Jungs, die auf die Clownsschule gingen oder wie besessen von Improtheater waren. Ein Mann, der mich zum Lachen brachte, war damals sexuell deutlich attraktiver für mich. Und dann war da noch das klitzekleine Promiskuitätsproblem gewesen, das ich gehabt hatte; monatelang hatte ich Jungs komplett abgeschworen, nur um dann eines Abends einen solchen Ausbruch von Flirtlust zu erleiden, dass ich den einen Jungen auf einer Party mit ins Bad nahm und dann den anderen mit zu mir nach Hause. Promiskuitiv war das eigentlich nicht, ich hatte nur eine bipolare Störung sexueller Art.
    Ich erzählte Clarissa, wie Primus und ich wieder aus der Flugzeugtoilette kamen und wie immer noch alle schliefen, als wären sie verzaubert. Eigentlich hätte es auch eher etwas peinlich sein können zwischen uns, doch stattdessen hatte er unter der Armlehne meine Hand gehalten und war eingeschlafen, mit offenem Mund, wie ein kleiner Junge. Sanft und lieb war er auf der ganzen anstrengenden Reise gewesen, die von Anchorage nach Nome, von Nome nach Cape Espenberg und von dort aus in Landrovern weiterging, und am Ende hatte es auch noch einen kleinen Fußmarsch bis zur Ausgrabungsstätte gegeben. Er hatte mir Kaffee spendiert, wann immer wir irgendwo warten mussten, und ab und zu hatte ich ihn dabei erwischt, wie er mich anschaute, ein kleines Lächeln auf den Lippen.
    Und so geschah es wieder.

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