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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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neugierig auf sie alle? Auf Sy und Sarah? Glanz und Gloria deiner Großeltern? Niemals?»
    Sie blinzelte mich an und schien einen Moment lang wie gefangen zu sein, bevor sie den Blick wieder auf das kleine Buch in ihren Händen senkte. «Ein bisschen schon», sagte sie. «Sie waren so … weit weg. Wie Berühmtheiten. Ich fragte meine Urgroßmutter nach ihnen, aber die war damals schon gaga, und wer weiß, ob die Sachen, die sie sagte, stimmten. Und meinen Vater konnte ich nie fragen. Er wirkte immer so streng, wenn die Sprache auf sie kam. Ich weiß nicht. Wahrscheinlich bin ich im tiefsten Inneren meines Herzens einfach immer noch sein gehorsames kleines Mädchen.» Schließlich seufzte sie noch mal tief und sagte auf ihre bescheidene Art: «Macht auch nichts. Ich werde es von dir hören, da bin ich mir sicher. Doch jetzt wird unsere Kasserolle kalt, es ist spät, und morgen habe ich meine Gebetsgruppe. Die Plätzchen sind schon im Ofen und werden bald schwarz.»
    «Igitt. Täuferplätzchen. Aus Heuschrecken und wildem Honig, vermute ich», sagte ich und streckte eine Hand in ihre Richtung, weil mir meine Mutter so traurig vorkam.
    «Von wegen», erwiderte sie und schenkte mir ein müdes kleines Lächeln. «Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns aus dem Ofen.»
    «Auweia. Du klingst wie Clarissa», sagte ich, musste aber doch ein bisschen kichern.
    Vi hielt den ganzen Weg die Treppe hinab meine Hand und drehte sich zu mir, als wir unten ankamen. «Trotz allem», sagte sie mit einem leichten Wabbeln ihrer Wangen, «bin ich froh, dass du wieder daheim bist, Sunshine.»

Aus dem Tagebuch von Sarah Franklin Temple Upton (gekürzt)
    15. Mai 1932 bis 1. August 1932
    Heute bin ich angekommen, und endlich ist meine eingesperrte Seele wieder frei. Manhattan, allein der Name ist wie ein Lied … gute Idee von meinem Vater, mich für den Sommer hierherzuschicken, obwohl meine Brüder offenbar davon überzeugt sind, dass ich verheiratet werden soll. «Wie um alles in der Welt», müssen sie gedacht haben, «konnten wir es zulassen, dass unsere hübsche Schwester vom College abgeht und noch unverheiratet ist?» … Wie wenig sie mich doch kennen! Ich will keinen von denen – weder den bürgerlichen Streber noch den Lohnstreifensklaven oder einen von den grässlichen Anwälten, Journalisten und anderen Junggesellen, die sie mir so bemüht vorstellen. Ich will einen Künstler, will die Frau eines Genies sein, und wenn das nicht klappt, werde ich eine eingefleischte alte Jungfer, die sich ganz dem Intellekt verschrieben hat …
    Heute ist Manhattan alles andere als Glitzer und Glimmer. Es gibt Schmutz, Männer in Geschäftsanzügen, die Dinge verkaufen, die niemand will, fliegende Zeitungen, Ratten mit ihrenKnopfaugen, Schlangen an der Brotausgabe. Mir ist übel. Ich blättere durch die Zeitungen und finde hinter ein paar knappen Zeilen die Geschichte einer Hungersnot … Frauen in der Ukraine mit Beinen, die dünn sind wie Besenstiele, ihre Kinder mit ballonartigen Bäuchen, ein Windstoß, und sie werden alle davongeweht … und meine Brüder servieren indessen Kaviar auf kostbaren Elfenbeinlöffeln. In diesen Nächten träume ich von Temple ton, vom Flimmerspiegelsee, und mein See ist wie Eis auf der Zunge …
    … zwei Wochen hier, und bereits jetzt macht diese Stadt mich krank. Schon habe ich meine unsichtbaren Freunde an den Straßenecken gesehen, mit leeren Höhlen statt Augen … Ich fürchte mich … Worte klatschen von hinten gegen meine Zunge wie Fliegen gegen ein Fenster … unziemliche, seltsame Worte, manchmal rutschen sie mir heraus, meine Brüder und ihre Frauen schauen mich an, aalglatt, und tauschen Blicke … Nicht schon wieder Spritzen! Ich kann nicht zurück ins Krankenhaus … Die Zeit am Smith hat mich geheilt, dachte ich, nur ein Anfall, dort, ganze zwei Wochen der Krankheit in vier Jahren … all das Hockey, all die Teepartys, dieses ganze Menstruieren und Nachdenken … Dort war ich in Sicherheit. Hier bin ich es überhaupt nicht.
    … krank, meine Brüder schicken mich nach Hause. Diese Stadt steckt mich an. Templeton, meine feine, kleine Pille … solche Bilder stehen mir vor Augen. Solche Stimmen, jene hohe Stimme, die des kleinen Mädchens, so ungezogen, die zu mir spricht, immer zu. Wie sehr ich sie hasse … Der Zug ist leer, Albany ist ein kleiner, mit Pailetten besetzter Fisch … Dieser Zug ist ganz aus braunem Samt … er wird langsamer, ich bin in Templeton, oh, Templeton,

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