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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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verschwand und den See in Schatten tauchte. Rund um mich verteilt waren riesige Stapel Bücher, Schachteln mit Mikrofiches, Doktorarbeiten und mein Büchlein, das sich langsam mit gekritzelten Notizen füllte. Doch ich fand nichts heraus, rein gar nichts, außer der Tatsache, dass Sy Upton im Jahre 1935 in die Stadt gekommen war, nach monatelanger Suche nach einem geeigneten Standort für das zukünftige Baseballmuseum. Dann jedoch hatte er sich in Sarah Franklin Temple verliebt und war geblieben. Das war alles, was mein Großvater, George Upton, in dem schmalen Büchlein über seine Eltern geschrieben hatte, das einen Skandal hervorgerufen und möglicherweise sogar zu seinem Tode geführt hatte.
    Nun stand der schüchterne Bibliothekar vor mir, nestelte an seinerFliege und schob ein kleines ledergebundenes Büchlein mit einem Finger in meine Richtung. «Miss Upton», sagte er. «Ich muss jetzt bald nach Hause. Tut mir sehr leid.» Und er sah wirklich so aus, als täte es ihm leid. Den ganzen Tag über war er so hilfsbereit gewesen, war kreuz und quer durch die Bibliothek marschiert, immer auf der Suche nach einer weiteren Quelle, hatte mich bei meinen Recherchen am Mikrofichegerät unterstützt, und nie war sein bleistiftdünnes Schnurrbärtchen aus dem Wackeln herausgekommen. Ich hatte ihm erzählt, ich säße an einer Dissertation über das Thema: «Der lange Weg des Baseballs nach Templeton», die im Jahre 1935 beginne und Sy als Fallstudie benutzen wolle. Es war ein ausgesprochen blöder Vorwand, doch etwas anderes fiel mir nicht ein, und der Bibliothekar schien die Geschichte komplett geschluckt zu haben. Die kleine Ziegenfrau am Eingang hatte nur gelegentlich die Augen geöffnet, den Kopf in unsere Richtung geschüttelt, missbilligend mit der Zunge geschnalzt und war dann in genau derselben Haltung wieder eingeschlafen.
    «Oh», sagte ich. «Das tut mir leid. Lassen Sie mich die Sachen hier zurückstellen», doch er winkte ab.
    «Das kann bis morgen warten. Im Sommer kommen nicht so viele Besucher her, wissen Sie», sagte er. «Und vielleicht brauchen Sie sie ja noch mal. Hat nicht den Anschein, als wären Sie viel weitergekommen.»
    Ich streckte die Arme über meinen Kopf und gähnte. «Bin ich auch nicht», gab ich zu. «Morgen bin ich wieder da. Und wenn ich weiterhin so viel mit Ihnen zu tun habe, wäre es vielleicht besser, ich wüsste Ihren Namen.»
    Er errötete, sagte: «Peter Lieder» und streckte mir die Hand hin.
    Doch ich war so überrascht, dass mir gar nicht einfiel, sie zu schütteln, und er ließ die Hand verwirrt wieder fallen. «Nein», sagte ich. «Peter-Lieder-Allesfresser?»
    «Nun», erwiderte er. «Genau der bin ich.»
    «Jesus, Maria und Josef», sagte ich. Peter Lieder war in der Highschoolvier Jahre älter gewesen als ich und damals ziemlich übergewichtig. Vermutlich hatte er im Abschlussjahr an die hundertfünfzig Kilo gewogen; und er war der beste Musiker gewesen, den wir an der Schule hatten. Oboe, Flöte, Saxophon, Tuba, Trompete, Trommel und Violine – Peter Lieder hatte seinem musikalischen Namen alle Ehre gemacht und all diese Instrumente gespielt. Doch der Peter Lieder, den ich gekannt hatte, hätte dieses kleine Männchen hier mit einer großen Portion Pommes frites zum Frühstück verzehrt. «Sie sind Peter Lieder?», sagte ich. «Tut mir sehr leid, dass ich Sie den ganzen Tag nicht erkannt habe. Ich komme mir vor wie ein Idiot.»
    Doch der neue Peter Lieder strahlte mich an. «Oh, Miss Upton, machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich bin eindeutig ein anderer geworden. Peter-Lieder-Allesfresser hat mich schon lange keiner mehr genannt. Ich hatte ein Problem mit der Schilddrüse. Wer hätte das gedacht? Und dass sie das auch noch erst nach der Magenverkleinerung herausgefunden haben! Wirklich jammerschade.»
    «O Gott», sagte ich. «Wow. Aber sag bitte nicht Miss Upton zu mir. Ich bin Willie, Peter.»
    «Na gut, Willie», sagte er, rot vor Freude. Er räusperte sich und sagte dann: «Nun, ich weiß, dass du dich hauptsächlich für deinen Urgroßvater Sy interessierst, aber das hier hab ich in der Sondersammlung aufgetrieben. Sieht so aus, als wäre es das Tagebuch von Sarah Franklin Temple, seiner Frau, weißt du. Deiner, na ja, Urgroßmutter. Etwa aus der Zeit, als Sy in die Stadt kam. Ich dachte, vielleicht ist da auch Wissenswertes für dich drin. Ein paar neue Erkenntnisse. Einen Versuch ist es wert. Soweit ich beurteilen kann, recht interessantes Zeug.

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