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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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lebenswichtige Probleme wie dieses! Ganz gewiss ist es die Aufgabe meines Vaters, Templeton zu neuem Leben erwecken, aber ich fürchte, er ist zu alt. Und wenn mir das Smith College irgendetwas beigebracht hat, dann, dass Frauen genauso fähig sind wie Männer, wenn nicht sogar fähiger. Ich muss diese Stadt retten, so hallt es in meinem Kopf wider, wie ein Refrain, ein griechischer Chor! Ich muss die Stadt retten! Ich habe an meinen Französischunterricht gedacht … Jeanne d’Arc … La Pucelle … göttlich, inspiriert, wie sie ihre Männer in die Schlacht führt, als hätte sie Flügel … ich denke an sie … doch ich bin keine Heilige, kein Genie, ich bin ein Mädchen, das zu viel weiß, um überhaupt etwas zu wissen …
    … bin heute mit meinem Vater im Motorboot zum Kingfisher Tower hinausgefahren … Point Judith … der Tower sieht weniger peinlich aus, als ich gedacht hatte, aber dafür viel trauriger … aus hiesigem Bruchstein gemauert, erhebt das Gebäude sich vom Ufer, als wachse es organisch aus dem Boden, bis oben zum Dach, wo es in einem eindeutig nicht organischen Rot explodiert … nicht gerade hübsch, aber ein schönes Denkmal für meinen Vater … hat ein wenig den Beigeschmack von Herrenrecht, das stimmt, indem es die gesamte Uferlandschaft nach Laune eines Temple umgestaltet. Ich mochte es, obwohl es ein wenig plump und unvollendet ist … während mein Vater mit den Männern redete (alle Männer unterbrechen ihre Arbeit, um mit ihm zureden), stand ich am See und schaute aufs Wasser hinaus … Wie oft hatte ich davon geträumt, als ich weg war … von diesem schönen, marmorierten Grün … den Enten, die schwungvoll auf dem Wasser landen, im Hintergrund die Sommergäste, die ganz weit weg auf ihren winzigen Segelbooten unterwegs sind, eine leichte Brise, die die Wasseroberfläche kräuselt … doch dann geschah etwas sehr Seltsames. In der Mitte des Sees, etwa anderthalb Kilometer entfernt, war ich mir sicher, einen Moment lang etwas
Großes
auf- und dann wieder untertauchen zu sehen … muss eine große Gasblase aus einer unterirdischen Ader des Flimmerspiegelsees gewesen sein … meine Augen spielten mir einen Streich. Doch als ich dann, während mein Vater sich immer noch unterhielt, nochmals in das Wasser unter mir schaute, sah ich einen Kopf, der sich aus dem Seegras erhob … sah einen Körper, der im gezackten Umriss des Gewässers Gestalt annahm … einen lächelnden kleinen Indianer mit Lendenschurz, keiner von meinen unsichtbaren Freunden, sondern ein
Geist!
Ein Geist! Er presste sich an die Wasseroberfläche, so wie man sich an eine Glassscheibe drückt, und ich kniete mich auf den Felsen … legte mein Ohr ans Wasser, um zu hören, was er sagte … doch dann lag die Hand meines Vaters auf meiner Schulter, ich schaute auf … und als ich wieder hinabblickte, war der kleine Indianer verschwunden …
    … Heute Nacht ist der Mann aus meiner Kindheit zurückgekehrt, da war wieder seine Stimme in meinem Kopf, eine tiefe, dröhnende Stimme wie aus uralten Zeiten. Er bringt das schrille kleine Mädchen zum Schweigen. Er sagt «Ihr» und «Euer», wie eine sprechende Bibel.
Ihr müsst Templeton retten,
sagt er. Wie?, schreie ich zurück.
Ihr müsst Templeton retten,
sagt er noch einmal, sonst nichts.
Ihr müsst Templeton retten. Ihr müsst Templeton retten. Ihr müsst. Ihr müsst. Ihr müsst.
    … hab den ganzen Morgen am Council Rock verbracht und ins Wasser hinabgespäht, versucht, noch einmal den kleinen Indianer zu sehen … jemand anders ist erschienen … zerzaustes graues Haar im Schoß des Sees, ein knolliges, schreiendes Gesicht, altertümliche Kleidung, ein Buch – die Bibel? – in der Hand … Und in genau dem Moment, als diese beängstigende Gestalt erscheint, ertönt eine Hupe. Ich drehte mich herum und sah einen goldenen Cadillac, einen unglaublich schönen Wagen, der um die Kurve bog … Wer würde einer jungen Frau hinterherhupen? Wie ungezogen! Und wer in Templeton würde sich einen solch protzigen Wagen kaufen? Jemand, den ich kannte, vielleicht? Dr. Finch? Die Falconers mit dem Rest ihres Biervermögens? Niemand, den ich kannte, wäre so ordinär gewesen.
    Ach, was für eine Freude! Unten trommeln die Füße meines Vaters ein Freudentänzchen auf den Dielenboden … ein munterer alter Mann … Und Folgendes ist passiert: Ich konnte nicht mehr schlafen (habe zu viel Energie zum Schlafen) und machte mich an diesem Morgen auf den Weg zum Einkaufen mit meinem kleinen

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