Die morawische Nacht
gedacht, ähnlich vielleicht wie bei militärischen Anlagen, die, besonders von oben, aus der Vogel- oder sonst einer Perspektive, Bestandteile der Landschaft darstellen sollten – und zeigte sich bei näherem Hinschauen doch recht anders: das Baumaterial, Stück für Stück das Gegenteil einer Attrappe, die Steine nicht bemalte Teerpappe, sondern ein Granit so fest wie nur je einer auf der Meseta; die Rauchabzüge keine bloßen Ritzen wie etwa bei einem vorgetäuschten Köhlerhaufen, und die zahlreichen, unregelmäßigen Lücken in dem Rundhügel allesamt dick verglast – die Architektur zielte offensichtlich auf Dauer, und wenn auf einen Ernstfall, so auf einen anderen als den eines Krieges. Überraschung dann beim Betreten: die Stein- und Glaskuppel, mit den Fundamenten im Steppenboden, überwölbte eins der Gehöfte von früher, das weitläufigste in der Gemarke, wobei dessen Vielfalt der von Funktion zu Funktion verschiedenen Baueinheiten, Haupthaus, Gesindehaus, Scheunen, Ställe, Korral, wie ihre Anordnung und sogar die ursprüngliche Gestalt, womöglich auch das Material, im großen und ganzen beibehalten worden waren.
Als der ehemalige Autor dort ankam, war das ein dunkler, klarer Tag, von dem er sich wünschte, daß alle die weiteren Tage seiner Rundreise so blieben. Wie war er da hingekommen? Mit einem Mietjeep. Und hatte er seinen kleinen Koffer immer noch dabei? Ja, und außerdem war der auf einer Seite mit Riemen bestückt, so daß er auch als Rucksack verwendbar war. Und hatte er vorher ein Flugzeug genommen? Nein, diese Frage des ewigen Zwischenträgers unter uns beantwortete er nicht mehr. Winterlich war das Licht um die beiden Rundhügel von Numancia, und so wünschte er sich wohl dazu noch ein Schneien? Nein, der Schnee hatte ihn im Leben schon oft genug begleitet und geleitet, Dank sei ihm, und, das versprach er unserem Zwischenträger in jener Erzählnacht auf der Morawa, diesmal würde es bis zum Ende der Begebenheiten nicht schneien, keine einzige Flocke würde fallen.
»Symposion«? Von einem solchen, Platons Gastmahl hin oder her, zu hören, machte uns zunächst eher unlustig. Unter einem Symposion, da stellten wir uns, wie sagte man, eher so etwas wie ein »Roundtable« vor, wo Kapazitäten, Koryphäen, Experten oder weißgottwelche Rollenspieler aus aller Herren Ländern in Anzug und Krawatte, jeder mit einem Ehrenzeichen am Revers, je winziger, desto ehrenvoller, die Knöpfe für die Simultanübersetzung im Ohr, eingebunkert irgendwo im Irgendwo und Nirgendwo, bewacht von irgendwelchen Spezialeinheiten ebenfalls aus aller Herren Ländern, an einem mehr oder weniger runden Tisch postiert waren und, sagen wir, drei Tage lang der Welt, urbi et orbi, ein Beispiel gaben, man wußte nur nicht für was, und unsereinem den Weg wiesen, wenn man nur wüßte wohin, und außerdem wollte doch jeder von uns, jedenfalls von uns auf dem nächtlichen Boot, seinen eigenen Weg gehen, siehe die kleinen, in so verschiedenen Winkeln zueinanderstehenden Tische im Salon, an denen jeweils nur einer saß, und ein jeder, zumindest leicht, woandershin gewandt.
Aber der Bootsherr, indem er weitererzählte, belehrte uns bald eines anderen. Die dort am Fuße des Rundhügels von Numancia sich im Zeichen des Lärms zusammensetzten, das waren, wenn vielleicht auch Experten, so vor allem jedoch Opfer. Und sooft diese Opfer sich zu Wort meldeten, sprachen sie nicht von etwas Überstandenem, etwas, das hinter ihnen lag. Es waren von dem Lärm, von dem Tumult, dem Getöse, das dabei keineswegs nur Kriegslärm sein mußte, bleibend Geschädigte; es waren Dauerbehinderte. Ein stillerer Ort als der für das Symposion jetzt schien kaum vorstellbar. Ihre fortgesetzten Beschwernisse und vor allem Wirrnisse waren, wie der Gesprächsleiter, der offenbar einzige Unbeschädigte, Gesundgebliebene unter ihnen, ständig sagte, »phantomatisch«, aber darum, so die ebenso ständige Antwort der Betroffenen, »nicht weniger aktuell«. Und er, der Ex-Autor, was sagte er? Was war sein Beitrag? Er sagte nichts, sprach während des ganzen Symposiums, zumindest an der Tafel, kein einziges Wort, war nur als Zuhörer gekommen. Wie das: Hatte er eingangs nicht angegeben, man habe ihn eingeladen als Teilnehmer? Widersprach er sich jetzt nicht? Und wenn schon, so seine Antwort, und er werde im Lauf der Nacht so frei sein, sich vielleicht noch öfter zu widersprechen.
Er war einer der Hörer, der wenigen, der einzige von weiter weg. Die zwei, drei
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