Die morawische Nacht
Neonröhre über dem Spülbecken, durch das Bullauge sitzen sahen, bewegungslos und bereit, wie das sonst nur bei balkanesischen Köchinnen zu beobachten ist. Währenddessen erzählte der Bootsherr allein weiter. Wo in Europa hatte der Abschied stattgefunden? Die Stadt tat nichts zur Sache, zumal alle die Städte auf dem Kontinent längst verwechselbar geworden waren. Die Stelle freilich, von der er aufbrach, war ihm der Rede wert: der Tunnel einer aufgelassenen Bahnstrecke, die vorzeiten die ganze Stadt, als der Peripheriegürtel, umkreist hatte. Das hatte sich so ergeben, weil sie zwei nahebei die letzte Zeit, immer noch ihre »erste«, zusammen verbracht hatten. Und andrerseits war es sein Beschluß, gerade durch diesen Tunnel sich auf den Weg in das, hm, Abenteuer zu machen, mit welchem er sich sie, die Frau, erst verdienen würde. Und im Auseinandergehen, in der Trennung, erschien dann die Wirklichkeit; blühte auf.
Falkengellen über der ehemaligen Bahnsenke mit den verrosteten, zum Teil verschobenen Geleisen: »Es war ein Falkenschreitag.« Das Gellen draußen begleitete ihn noch ein Stück seines Weges in das Dunkel hinein. In ähnlicher Weise leuchtete ihm auch die tiefstehende Sonne, ob des Morgens oder des späten Nachmittags, für eine kleine Teilstrecke voraus. Ihr gelber Widerschein von den Betonwänden, von den Schienen, den modernden Holzschwellen, dem Sandboden hatte etwas Einladendes; ließ den Tunnel, und nicht bloß dessen Eingang, gastlich erscheinen. Das Gehen da war eine Freude, wenn auch eine leicht unsichere. Der Tunnel nahm ein unvorhersehbar langes Segment des einstigen Rundkurses um die Stadt ein. Vor ihm nur Schwärze, kein Licht eines Ausgangs, und sei es ein heller Punkt. Weder hatte er eine Taschenlampe dabei noch Streichhölzer. (»So war es gedacht.«) Bald bewegte er sich in einer völligen Geräuschlosigkeit, der Stadtkrach verebbt, nicht einmal ein Raunen mehr zu hören, und vom Tunnelinnern nicht einmal ein sporadisches Tropfen von der Decke in irgendwelche Bodenlachen oder ein Trippeln von unsichtbaren Ratten, wie das die entsprechende Filmszene untermalt hätte. Ob der Tunnel überhaupt noch passierbar war? Er hatte sich nicht erkundigt, auch so war es gedacht, wie auch außer Frage war ein Umkehren dorthin, wo beim Blick über die Schulter erst noch das sonnendurchschienene Laub in einem jedesmal weiter wegrückenden Halbkreis sich regte und dann, ab einem bestimmten Punkt in der unterirdisch den Stadtrand oben nachziehenden Gleiskurve, der Ausgang hinten nur noch von einem vagen Grauschimmer innen an der Tunnelröhre, sehr fern, markiert war, und dann von gar nichts mehr.
Immerhin gab es oben in der Decke, in Abständen, so etwas wie Luft- oder Lichtschächte, oder was in der Tunnelruine eben davon erhalten geblieben, nicht mit Bauschutt oder womit auch immer verstopft, nicht überhaupt an der Oberfläche mit den Stadtrandhochhäusern zugebaut worden war. Aber selbst wo noch ein wenig Licht durchdrang, mußte dieses von sehr weit kommen, so schwach war es (von einer Luft zu schweigen). Der Boden mit den Gleissträngen wurde bei den paar Lichtstellen hoch oben womöglich noch bodenloser. Eine Schwärze schien da von ihm aufzusteigen, so daß man bei jedem Schritt unwillkürlich die Knie anhob, wie bei einem Gehen auf Treibsand, wo man damit rechnen mußte, jetzt und jetzt einzusinken oder gar in eine Grube zu stürzen.
Immerhin: Licht, dann und wann? Ja, nur daß diese so spärlichen Stationen von Mal zu Mal düsterer erschienen – wobei ihm, mit dem Erzählen, die Erinnerung kam, daß die Tageszeit, zu der er sich an die Durchquerung des Tunnels gemacht hatte, doch mithineingehörte, und wie. Es war die Vorabendsonne, die ihm eingangs vorgeleuchtet hatte, und inzwischen mußte es draußen, oben, dämmern. Bald wäre es Nacht, und er hätte sich vorwärtszutasten in einer vollständigen Finsternis. Auf manchen Zwischenstrecken mit verschütteten oder zubetonierten Lichtschächten hatte er sich schon in einer solchen Situation gesehen, oder eben nicht gesehen: die Arme vor sich, war er, einen Fuß jeweils dem anderen nachschiebend, durch das Stockdunkle navigiert, jeden Augenblick, oder eben jeden Nichtaugenblick, gewärtig, von dem Riesen oder der Riesin, zu der sich die Finsternis da, und da, und da, menschenfresserisch zusammenballen würde, buchstäblich erschlagen und/oder verschlungen zu werden.
Dann die Nacht: auch aus den Lichtschächten – wenn es denn noch
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