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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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Schürzen der Köche noch einmal so weiß, weißer als in jeder Waschpulverreklame, ließ die Sonne sich sehen ohne die Gefahr des Erblindens, grenzte die Steppe an das Olympiastadion, die Gipfelflur der Alpen an den Dattelpalmenwald, das Anwesen des Milliardärs, ohne Mauer oder Zaun, an die Zeltstadt der Flüchtlinge, der Klostergarten an den interkontinentalen Flughafen, das Tierheim an das tibetanische Lächelzentrum, der Golfplatz an die Badlands, der Lärmkanal an das Schweigelabyrinth, der Bergwerksstollen an die Startklippe der Drachenflieger; war es keine Entfernung zwischen Atlas und Libanon, und ein Katzensprung von Sankt Jakob im Rosental nach Santiago de Chile, und kaum ein Gedankensprung von der Erde zur Venus, die an einem Abend rotfunkelte wie der Mars. Und eines schönen Tages dann lief William Faulkners schwachsinniger Held hinter seiner geliebten Kuh her. Und dann ließ Madame Bovary ihr Taschentuch fallen. Und da stand Josef K., verirrt auf dem Weg zum Bahnhof. Und dort stand der Mann, der den Zügen nachschaute. Und dort gingen Baur und Bindschädler im Abendlicht, das widerschien von den Kalkfelsen. Und eines weiteren schönen Tages dann blühte der Kirschgarten. Und dann wölbte sich die Brücke über die Drina, auch wenn der Fluß da gar nicht die Drina war. Und dann einmal bellte ein Hund. Und dann küßten sich zwei an ihrer Stelle. Und dann, oder vorher?, nein, zugleich fiel langsam ein Fahrrad um, während zugleich ein Ball aus dem Gebüsch rollte, aus einer Frühlingswolke eine Sommerwolke wurde, ein Ohrgehänge klingelte, ein Läufer grüßte, ein Schuhband geknüpft wurde, ein Bügeleisen knackte, eine Zeitung im Wasser auf Grund sank, eine Tanzfläche sich füllte, und nirgends, »nie wo«, ein Faust unterwegs auf der Pfingstschneise, geschweige denn ein Mephisto, ein Nero, eine Medea, Lady Macbeth oder sonst eine böse Zauberin, und schon gar keine Spur von Ku-Klux-Klan, Dschingis Khan, Karla vom Bruck, Gringo Busch, Papa Benedetto, Josip Fisherman, Magdalena Ganzhell, Bernhard-Hinrich Glückskraut, Ossim Weichsohn und all den anderen; selbst der A. Hüttler war wie nie gewesen. Gott schützte die Liebenden, und ihrerseits schützten die Liebenden, oder die voneinander oder überhaupt Begeisterten – wen? Ja, wen?
    So, in dem anderen Zeitmaß, ihre erste Zeit, in die dann auch der Abschied fiel, ohne daß das Zeitmaß freilich außer Kraft trat, vorderhand jedenfalls. Der Abschied, er gehörte dazu. Für eine Zwischenperiode auseinanderzugehen, in weitmöglichst entgegengesetzte Richtungen, das war eine Selbstverständlichkeit. Keiner der beiden auch würde währenddessen etwas von sich hören lassen oder dem andern ein Zeichen geben. Und eines Morgens dann war es klar, das sollte der Tag der vorläufigen Trennung sein; es brauchte nicht erst ausgesprochen zu werden. Einander aus den Augen zu sein, nichts vom anderen zu wissen, das war eine Regel des Spiels. Spiel? Ja, ein großes. Seltsam, oder auch nicht: im Weggehen, Sichentfernen, sie dorthin, er dorthin, erstmals das Wort »wir«, ebenso später dann in der Morawischen Nacht im Erzählen, oder Rechenschaftgeben davon. »Nie hätten wir uns träumen lassen, damals –« (so lang war demnach auch das schon wieder her?) »– bei unserem wie noch zusätzlich uns beglückenden Abschiednehmen, daß zwischen uns einmal ein Krieg ausbrechen könnte, der, mörderisch wie er war, den herkömmlichen Paarkriegen in nichts nachstand.« – Und an dieser Stelle ihrer beider Geschichte auch das erste Widersprechen. Es kam von ihr, der Fremden, und nie wandte sich, wie sie dort in der Schwingtür stand, zudem erstmals weg von uns anderen in dem Bootssalon, hin zu ihm. Und das war an der Stelle, wo sie, als die erste, die ging – eine äußere Gleichzeitigkeit brauchten sie ja nicht –, sich dabei noch einmal nach ihm umblickte und er gedacht habe, so eine Reinheit sei zu viel für ihn, und er verdiene sie, diese Frau, nicht: »Nein«, sagte da die Fremde, »das hast du dort mitnichten gedacht, oder wenn, dann nur für den einen Augenblick, und hast ihn alsbald vergessen in deinem ewigen Gedanken, daß, umgekehrt, keine Frau, gar keine, dich verdient, eines Mannes, wie du einer bist, würdig ist, und das hat das, was dann kam, mitausgelöst, du Blindgänger, du Dorfrichter, du ewiger Muttersohn.« Und sie ließ dazu dann ihr Lachen hören, ohne daß er diesmal mitlachte.
    Sie ging in die Bordküche zurück, wo wir sie, im Licht einer

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