Die Mordbeichte
Augenblick tauchten Billy Meehan und Varley am Seitentor auf. Sie sahen Fallon und das Mädchen augenblick lich und gingen in Deckung.
»Er ist noch da«, sagte Varley. »Gott sei Dank!«
»Fahr zum Paul's Square zurück und warte auf Jack!« sagte Billy. »Erzähl ihm, wo ich bin. Ich werde hier aufpassen.«
Varley verzog sich, und Billy arbeitete sich vorsichtig zu Fallon und Anna vor, die Grabmäler als Deckung nutzend.
Anna sagte: »Ich möchte Ihnen für gestern abend danken.«
»Nicht der Rede wert.«
»Einer der Männer war ein alter Freund von Ihnen. O'Hara – so hieß er doch?«
Fallon sagte rasch: »Nein, Sie haben sich verhört.«
»Ich glaube nicht. Onkel Michael hat sich, nachdem Sie gegangen waren, mit ihm unterhalten, in dem Pub auf der anderen Straßenseite. Er hat eine Menge über Sie erzählt. Belfast, Londonderry – die IRA.«
»Dieser Bastard!« sagte Fallon verbittert. »Er hatte schon immer ein großes Mundwerk. Wenn er nicht achtgibt, wird ihm eines schönen Tages jemand die Äuglein schließen.«
»Ich glaube nicht, daß er es böse gemeint hat. Onkel Michael
hatte vielmehr den Eindruck, daß er sehr viel von Ihnen hält.« Sie zögerte und fügte dann behutsam hinzu: »Im Krieg passie ren manchmal Dinge, die niemand beabsichtigt hat, die …«
Fallon unterbrach sie scharf: »Ich denke nie zurück. Es lohnt sich nicht, ist sinnlos.« Sie bogen in einen anderen Pfad ein, und er blickte zum Himmel empor. »Mein Gott, hört es nie mehr zu regnen auf? Was für eine Welt! Selbst der verdammte Himmel kann das Weinen nicht lassen.«
»Sie haben eine verbitterte Lebenseinstellung, Mr. Fallon.«
»Ich sage, was ich empfinde. Leben – eine höllische Bezeich nung für die Welt, wie sie ist.«
»Und es gibt nichts – keine winzige Kleinigkeit, für die es sich lohnt – in Ihrer Welt?«
»Nur Sie«, sagte er.
Sie befanden sich jetzt in der Nähe des Pfarrhauses. Billy Meehan, hinter einem Grabstein versteckt, beobachtete sie durch ein Fernglas.
Anna blieb stehen. »Was haben Sie gesagt?«
»Sie gehören nicht hierher.« Er machte eine Geste, die den ganzen Friedhof einschloß. »Dieser Platz gehört den Toten – und Sie leben noch.«
»Und Sie?«
Er sagte lange nichts, dann erklärte er ruhig: »Ich bin ein wandelnder Toter. Bin es nun schon seit langem.«
Es war eines der schrecklichsten Bekenntnisse, das sie je in ihrem Leben gehört hatte. Sie sah mit ihren blinden Augen zu ihm auf, irgendeinen Punkt fixierend, und plötzlich zog sie seinen Kopf zu sich herunter und küßte ihn heftig und bewußt herausfordernd. Dann entzog sie sich ihm.
»Haben Sie das gespürt?« fragte sie hitzig. »Bin ich vorge stoßen?«
»Das kann man wohl sagen«, murmelte er verwirrt.
»Gut. Ich gehe jetzt rein. Ich möchte mich umziehen und
dann muß ich den Lunch vorbereiten. Sie sollten vielleicht Orgel spielen, bis mein Onkel zurückkommt.«
»Ja«, sagte Fallon und wandte sich um.
Er hatte erst ein paar Schritte gemacht, als sie ihm nachrief: »Oh – Fallon?«
Er drehte sich um. Sie stand in der halboffenen Tür.
»Denken Sie an mich! Erinnern Sie sich an mich! Konzentrie ren Sie sich auf mich! Ich existiere! Ich bin da!«
Sie ging ins Haus, schloß die Tür, und Fallon entfernte sich rasch.
Als er außer Sichtweite war, kam Billy aus seinem Versteck.
Fallon und die Nichte des Priesters. Das war interessant. Bil ly wollte sich schon abwenden, da sah er eine Bewegung an einem der Fenster des Pfarrhauses. Er kroch in sein Versteck zurück und hob das Fernglas an die Augen. Anna stand am Fenster und begann ihre Bluse aufzuknöpfen. Sein Mund wurde trocken, und als sie den Reißverschluß ihres Rockes aufmachte und aus dem Rock herausschlüpfte, begannen seine Hände, die das Fernglas umklammerten, zu zittern. Dieses Flittchen! dachte er. Und sie gehört Fallon. Der Schmerz zwischen seinen Schenkeln war fast unerträglich. Er wandte sich ab und rannte davon.
Fallon hatte fast über eine Stunde Orgel gespielt. Es war lan ge her, und seine Hände taten ihm weh, aber es war wohltu end. Als er sich umdrehte, sah er Pater da Costa in der ersten Reihe sitzen.
»Wie lange sind Sie schon hier?« Fallon stand auf und kam die Stufen herunter.
»Eine halbe Stunde, vielleicht auch mehr« erwiderte da Costa. »Sie sind brillant. Aber das wissen Sie
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