Die Morde des Herrn ABC
hinter höflicher Uninteressiertheit.
«Wirklich?», fragte er wohl erzogen.
Wieder Schweigen.
Erst als wir uns Sevenoaks näherten, begann Poirot wieder zu sprechen.
«Wissen Sie, wie und womit das junge Mädchen erwürgt worden ist?»
«Mit ihrem eigenen Kleidergürtel – einem dicken, gestrickten Ding, soviel ich weiß.»
Poirot riss die Augen auf.
«Aha!», rief er. «Das wenigstens ist eine handfeste Tatsache, die uns allerhand Aufschluss zu geben vermag, nicht wahr?»
«Ich habe das Mordwerkzeug noch nicht gesehen», beschied Inspektor Crome kurz.
Die Vorsicht des jungen Beamten und sein Mangel an Fantasie begannen mich ungeduldig zu machen.
«Nun, jedenfalls wirft es ein grelles Licht auf die Geistesverfassung des Mörders», warf er ein. «Der Gürtel des Mädchens! Das weist auf eine ganz besondere Brutalität hin!»
Poirot sah mich an. Es war ein unergründlicher Blick. Vorwiegend enthielt er eine leicht amüsierte Ungeduld. Vielleicht wollte er mich warnen, vor dem Inspektor nicht allzu offenherzig zu sprechen.
Also schwieg ich weiterhin.
In Bexhill wurden wir von Superintendent Carter erwartet. Ein junger, intelligent aussehender Inspektor namens Kelsey war mit ihm gekommen, um Crome bei der Untersuchung des Falles zur Hand zu gehen.
«Sie werden sicher Ihre eigenen Nachforschungen anstellen wollen, Crome», sagte der Superintendent. «Daher gebe ich Ihnen nur Stichworte über das bisher Erreichte, damit Sie sofort an die Arbeit gehen können.»
«Danke, Sir», antwortete Crome knapp.
«Wir haben ihren Eltern die Nachricht übermittelt. Es war ein grauenvoller Schlag für sie, begreiflich. Ich habe sie dann verlassen, damit sie sich ein wenig erholen können, also werden Sie dort ganz von vorn anfangen müssen.»
«Existieren noch andere Familienmitglieder?», fragte Poirot.
«Ja, eine Schwester der Ermordeten – Stenotypistin in London. Sie ist ebenfalls verständigt worden. Und dann ist da ein junger Mann, mit dem die Ermordete eigentlich gestern Abend hatte ausgehen wollen, soviel ich hörte.»
«Und der Fahrplan hilft uns auch nicht weiter?»
«Dort liegt er», sagte Carter und wies mit dem Kopf auf einen Tisch hin. «Keine Fingerabdrücke. Auf der Seite mit den Zügen nach Bexhill aufgeschlagen. Ein neues Exemplar, wie mir scheint. Wurde bestimmt noch nicht oft benutzt. Nicht in der Umgebung gekauft. Ich habe bei allen möglichen Verkäufern nachforschen lassen.»
«Wer hat den Leichnam entdeckt?»
«Einer unserer Freiluft-und-Frühaufsteher-Colonels, Colonel Jerome. Er ging ungefähr um sechs Uhr früh mit seinem Hund spazieren. Ging in Richtung Cooden und dann zum Strand hinunter. Der Hund rannte fort und schnupperte nach etwas. Colonel Jerome rief ihn, aber der Hund kam nicht zurück. Der Colonel ging ihm nach, weil ihm das seltsam vorkam. Entdeckte die Leiche. Verhielt sich sehr vernünftig. Rührte nichts an und verständigte uns sofort.»
«Und der Tod ist um Mitternacht eingetreten?»
«Zwischen Mitternacht und ein Uhr – soviel steht ziemlich sicher fest. Unser Mordbesessener hält wenigstens Wort. Wenn er sagt: am Fünfundzwanzigsten, dann ist es auch der Fünfundzwanzigste – wenn auch vielleicht sehr früh am Tage!»
Crome nickte. «Ja, das scheint seiner Mentalität zu entsprechen. Sonst nichts? Hat niemand etwas gesehen oder gehört?»
«Nicht dass wir wüssten. Aber es ist ja noch kaum Zeit dazu gewesen, jemanden zu verhören. Binnen kurzem werden die Zeugen aufmarschieren, die gestern Abend ein junges Mädchen mit einem Mann am Strand spazieren gehen sahen, und da gestern an die vierhundert bis fünfhundert Mädchen in Weiß mit Männern am Strand entlangspazierten, kann das heiter werden!»
«Ich werde jetzt gehen, Sir», sagte Crome. «Da ist einmal das Café und dann die Wohnung des Mädchens. Ich werde beiden einen Besuch abstatten. Kelsey kann mitkommen.»
«Und Mr. Poirot?», fragte der Superintendent.
«Ich werde Sie begleiten, Inspektor», verkündete Poirot mit einer kleinen Verbeugung.
Crome schien etwas unangenehm berührt, aber Kelsey, der Poirot noch nie gesehen hatte, grinste über das ganze Gesicht. Es war ein Verhängnis, dass alle Menschen, die meinem Freund zum ersten Mal begegneten, ihn als lächerliche Figur einschätzten.
«Was ist mit dem Gürtel, der als Mordwerkzeug diente?», fragte Crome. «Mr. Poirot scheint der Ansicht zu sein, dass er uns wertvolle Aufschlüsse geben könnte. Wahrscheinlich würde er ihn gern in
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