Die Morde des Herrn ABC
allerdings interessant – und äußerst aufschlussreich.»
«Es ist ungeheuerlich, annehmen zu müssen, dass ein solches Geschöpf mit einem Verrückten im Bunde stehen soll!»
«Gewiss, und deshalb setze ich das auch nicht voraus.»
«Ein hübsches Mädchen hat es wirklich nicht leicht», bemerkte ich mit einem tiefen Seufzer.
«Unsinn! Schlagen Sie sich diese Ansicht aus dem Kopf!»
«Doch, das stimmt», beharrte ich. «Jedermann ist gegen sie, nur weil sie eben hübsch ist.»
«Sie sagen Sottisen, mein Freund! Wer war denn in Combside gegen sie? Sir Carmichael? Franklin? Schwester Capstick?»
«Lady Clarke hat sie gehasst!»
«Mon ami, Ihr Mitleid regt sich für hübsche, junge Damen. Ich bedaure kranke, ältere Frauen mindestens ebenso sehr. Vielleicht war Lady Clarke die einzige klar Sehende – und ihr Gatte, Mr. Franklin Clarke und Schwester Capstick waren blind wie Fledermäuse – Captain Hastings nicht zu vergessen!» Ein Nachsatz, der mich traf!
«Wir sind in Paddington», war alles, was ich darauf zu erwidern wusste.
Es wurde Zeit, dass jemand die Eiterbeule aufstach.
Zu Hause angekommen, meldete man uns, dass ein Herr auf uns warte.
Ich nahm sofort an, dass es entweder Franklin Clarke oder Japp sein werde, aber zu meinem Erstaunen wurden wir von Donald Fraser begrüßt, dessen Gehemmtheit und Verlegenheit noch augenfälliger waren als je zuvor.
Poirot drängte ihn nicht, sofort den Zweck seines Hierseins zu erläutern, sondern schlug zuerst Sandwiches und ein Glas Wein vor. Bis dieser kleine Imbiss gerichtet war, übernahm ausschließlich er die Führung der Konversation und erzählte von unserem Besuch bei Lady Clarke, von deren bedauernswertem Zustand er mit viel Mitgefühl sprach.
Erst als wir die belegten Brote gegessen und Wein getrunken hatten, lenkte er das Gespräch in persönlichere Bahnen.
«Sind Sie jetzt von Bexhill gekommen, Mr. Fraser?»
«Ja.»
«Hatten Sie bei Miss Higley Erfolg?»
«Higley? Milly Higley?» Fraser wiederholte den Namen mit Staunen. «Ach, das Mädchen! Nein, ich bin noch gar nicht bei ihr gewesen… Weil nämlich…» Er krampfte die Hände ineinander. «Ich weiß überhaupt nicht, warum ich zu Ihnen gekommen bin!»
«Aber ich weiß es», sagte Poirot ruhig. «Sie sind gekommen, weil es irgendetwas gibt, was Sie jemandem sagen müssen. Sie sind an der richtigen Stelle! Nun, reden Sie!»
Poirots Sicherheit verfehlte ihren Eindruck nicht. Fraser sah ihn mit einem Ausdruck dankbarer Ergebenheit an.
«Monsieur Poirot, verstehen Sie sich auf Träume?»
Das war nun wirklich das Letzte, worauf ich mich aus seinem Munde gefasst gemacht hatte.
Poirot hingegen schien keineswegs verwundert zu sein.
«Gewiss», antwortete er. «Wovon haben Sie geträumt?»
«Wahrscheinlich werden Sie mir sagen, dass es ganz natürlich ist, dass ich davon träume… Aber es war kein gewöhnlicher Traum.»
«Nein?»
«Drei Nächte hintereinander habe ich jetzt das gleiche geträumt. Ich denke, ich werde verrückt…»
Das Gesicht des Mannes war leichenblass. Die Augen traten leicht aus ihren Höhlen… Er sah tatsächlich irr aus.
«Es ist immer derselbe Traum… Ich stehe am Strand und warte auf Betty. Sie hat sich verirrt… nur verirrt. Ich muss sie finden. Ich muss ihr ihren Gürtel bringen. Den trage ich in der Hand… Und dann verändert sich der Traum. Ich suche sie nicht mehr. Plötzlich sitzt sie dicht vor mir im Sand. Aber sie hört mich nicht kommen. Es ist… Oh, ich kann nicht…»
«Sprechen Sie!» Poirots Stimme klang fest und befehlend.
«Dann stehe ich hinter ihr… sie bemerkt es nicht… Ich schlinge den Gürtel um ihren Hals und ziehe ihn zusammen… ziehe… ziehe…» Die Todesangst, die den Menschen schüttelte, war grauenvoll mit anzusehen. Ich klammerte mich an die Armlehnen meines Stuhles… Diese Schilderung war zu realistisch! «Sie erstickt langsam… dann ist sie tot. Ich habe sie erwürgt – und dann fällt ihr Kopf zurück, und ich sehe ihr Gesicht… und es ist Megan – nicht Betty!»
Er sank blass und zitternd in sich zusammen. Poirot schenkte ein Glas Wein ein und reichte es ihm.
«Was bedeutet das, Monsieur Poirot? Warum verfolgt mich ein solcher Traum? Jede Nacht…»
«Trinken Sie», forderte Poirot ihn freundlich auf.
Der junge Mann gehorchte und schien etwas ruhiger zu werden. Gefasster fragte er noch einmal: «Was bedeutet das? Ich habe sie doch nicht getötet! Nicht wahr, Monsieur Poirot?»
Was Poirot ihm antwortete,
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