Die Morde des Herrn ABC
dumm! Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte!»
«Hing es mit dem Tod Ihres Gatten zusammen?»
«Cars Tod? Ja, vielleicht… Armer Irrer – der Mörder. Das kommt vom Lärm und vom Tempo der heutigen Zeit – das halten die Menschen nicht aus. Mir haben Verrückte immer leid getan. Wie merkwürdig muss es in ihren Köpfen aussehen. Und dann ist Eingesperrtsein doch so entsetzlich. Aber was soll man sonst tun? Wenn sie Menschen umbringen…» Sie sah mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. «Sie konnten ihn noch nicht fassen, nicht wahr?»
«Nein.»
«Er war an jenem Tag bestimmt hier in der Nähe.»
«Es waren sehr viele Unbekannte in dieser Gegend, Lady Clarke. Ferienzeit.»
«Ja, das hatte ich vergessen… Aber diese Fremden halten sich doch hauptsächlich am Strand unten auf… nicht hier oben beim Haus.»
«Dem Haus hat sich an dem Tag auch niemand genähert.»
«Wer sagt das?», fragte Lady Clarke plötzlich scharf.
«Die Dienstboten. Miss Grey.»
Lady Clarke stellte laut und deutlich fest: «Dieses Mädchen ist eine Lügnerin!»
Ich wollte auffahren, aber Poirot nagelte mich mit seinen Blicken fest.
Lady Clarke sprach nun mit fieberhaftem Eifer weiter.
«Ich habe sie nicht leiden können. Nie. Car hielt sie für etwas ganz Besonderes. Redete dauernd davon, dass sie eine Waise sei und ganz allein in der Welt stehe. Was ist schon dabei, verwaist zu sein? Nur zu oft erweist sich das als großer Segen. Man könnte ja einen Taugenichts von Vater oder eine Mutter, die trinkt, auf seinen Lebensweg mitbekommen haben, und das wäre ein weit größerer Grund zum Klagen. Er betonte immer, wie tapfer sie sei und wie gut sie arbeite. Möglich, dass sie eine gute Sekretärin war – aber was hat das mit Tapferkeit zu tun?»
«Sie dürfen sich nicht aufregen», griff hier Schwester Capstick in die Unterhaltung ein. «Es ermüdet Sie zu sehr.»
«Ich habe sie fortgeschickt! Franklin entblödete sich nicht, mir einreden zu wollen, dass sie mir eine Stütze sein könnte! Eine Stütze – wahrhaftig! Je eher sie mir aus den Augen komme, desto besser, antwortete ich ihm. Franklin ist ein armer Narr – ein kleiner Junge ohne Vernunft. Ich wollte nicht, dass er sich näher mit ihr einließ… ‹Sie soll ihren Lohn für drei Monate voll ausbezahlt bekommen›, sagte ich, ‹aber sie geht! Ich will sie keinen Tag länger in meinem Hause wissen!› – Auch das ist eine Folge meines Krankseins: Männer verstehen mich nicht. Er ging zwar auf meine Wünsche ein, und sie verließ das Haus. Wie eine Märtyrerin wahrscheinlich, noch süßer, hilfloser und tapferer…»
«Sie sollen sich nicht so ereifern, Lady Clarke, das ist sehr schädlich für Sie!»
Doch Lady Clarke schob Schwester Capstick beiseite.
«Sie waren genauso von ihr eingenommen wie alle anderen hier im Hause!»
«Das dürfen Sie nicht sagen, Lady Clarke! Ich fand, dass Miss Grey sehr anziehend aussehe – romantisch irgendwie, wie eine Romanfigur.»
«Ach, ihr geht mir alle auf die Nerven», flüsterte Lady Clarke.
«Warum sagten Sie, dass Miss Grey eine Lügnerin sei?», fragte Poirot.
«Weil sie eine ist! Sie erzählte Ihnen doch, dass kein Unbekannter sich dem Haus genähert habe an jenem Tag? Nun, ich habe sie genau beobachtet, wie sie mit einem fremden Mann sprach – vorn, beim Haupteingang.»
«Wann war das?»
«Am Morgen des Tages, an dem Car starb – ungefähr um elf Uhr.»
«Und wie sah dieser Mann aus?»
«Nicht auffallend – einfach durchschnittlich.»
«Ein Herr – oder ein Handelsreisender?»
«Nein, kein Reisender. Ein eher armseliger Mensch – ich erinnere mich nicht genau.»
Ein Schmerzanfall verzerrte ihre Züge.
«Bitte – Sie müssen jetzt gehen… Ich bin müde…»
Wir erhoben uns sofort und verabschiedeten uns.
«Das ist ja eine merkwürdige Geschichte», sagte ich zu Poirot auf der Rückfahrt nach London. «Das mit Miss Grey und dem Unbekannten.»
«Sehen Sie, Hastings? Es ist eben doch, wie ich sagte: Man entdeckt immer wieder Neues.»
«Warum hat das Mädchen gelogen und uns gesagt, es sei niemand in der Nähe des Hauses gesehen worden?»
«Dafür kann ich mir mindestens sieben verschiedene Gründe vorstellen. Einer davon ist übrigens denkbar simpel.» Er sah mich herausfordernd an. «Strengen Sie Ihre Fantasie ein wenig an! Aber der einfachste Weg wird wohl der sein, dass wir die Dame über diesen Punkt befragen.»
«Und wenn sie uns wieder anlügt?»
«Das wäre
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