Die Morde des Herrn ABC
hörte ich nicht, denn in diesem Augenblick ertönte das Klopfen des Briefträgers, und ich ging aus dem Zimmer. Der Inhalt des Briefkastens machte mein ganzes Interesse an Donald Frasers überraschenden Enthüllungen zunichte. Ich rannte ins Wohnzimmer zurück.
«Poirot! Der vierte Brief ist da!»
Er sprang auf, riss mir den Brief aus der Hand und schnitt den Umschlag auf. Dann breitete er den Bogen auf dem Tisch aus. Wir lasen ihn zu dritt.
Noch immer kein Erfolg? Pfui! Pfui! Was tun Sie eigentlich, und was tut die Polizei? Ist es nicht köstlich? Und wo treffen wir alle wieder zusammen? Armer Monsieur Poirot 1 . Sie tun mir ehrlich leid. Aber selbst wenn es anfangs schief geht – versuchen Sie es wi e der und immer wieder. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Bis nach Tipperary? Nein – das kommt später. Buchstabe T. Der nächste kleine Zwischenfall wird sich in Doncaster abspielen, am elften September.
Auf bald!
ABC
21
I n diesem Augenblick – so schien mir wenigstens – begann zu verblassen, was Poirot das menschliche Element des Falles nannte. Es war, als hätten wir uns eine kurze Zeit menschlichen Belangen zuwenden dürfen, weil der Geist sich weigert, unausgesetzt dem Grauen gegenüberzustehen. Wir hatten gefühlt, dass wir zur Untätigkeit verdammt waren, bis der vierte Brief uns den Schauplatz der neuen geplanten Untat enthüllen würde. Diese Wartezeit hatte ein Nachlassen der Spannung mit sich gebracht. Aber nun, da uns die Blockbuchstaben von dem steifen weißen Papier entgegengrinsten, begann die Jagd von neuem.
Inspektor Crome kam vom Yard, und während er bei uns saß, wurden Franklin Clarke und Megan Barnard gemeldet.
Das Mädchen berichtete, dass sie eben von Bexhill hergefahren sei.
«Ich wollte Mr. Clarke etwas fragen.»
Sie schien ängstlich bestrebt, ihr Hiersein zu erklären, ja sie entschuldigte sich förmlich dafür. Ich bemerkte diese Tatsache wohl, legte ihr aber keinerlei Bedeutung bei. Der neueste Brief von ABC nahm mein ganzes Interesse in Anspruch.
Crome behagten die verschiedenen Teilnehmer an dieser Sitzung keineswegs. Er gab sich ungemein förmlich und distanziert.
«Ich werde das mitnehmen, Monsieur Poirot. Wenn Sie vielleicht eine Abschrift davon anfertigen wollen…»
«Nein, nein, das ist nicht nötig.»
«Was haben Sie für Pläne, Inspektor?», fragte Clarke.
«Ziemlich umfassende, Mr. Clarke.»
«Diesmal müssen wir ihn fangen», ereiferte sich Clarke.
«Ich möchte Ihnen mitteilen, Inspektor, dass wir uns aus eigenen Stücken zusammentaten, um dabei mitzuhelfen. Eine Gruppe, bestehend aus lauter Beteiligten.»
Inspektor Crome kommentierte höflich: «Ach? Wirklich?»
«Wahrscheinlich trauen Sie Amateuren nicht viel zu?»
«Nun, Sie können sich jedenfalls nur auf bescheidene Hilfsmittel stützen, nicht wahr?»
«Dafür verfolgen wir unsere persönlichen Interessen – das wiegt vieles auf!»
«Ach? Wirklich?»
«Im Übrigen ist auch Ihre Aufgabe keineswegs eine leichte, Inspektor. Denn bis jetzt hat Ihnen der alte ABC doch wohl recht übel mitgespielt.»
Crome war manchmal durch Spott zum Sprechen zu bringen, wenn alle anderen Methoden versagt hatten.
«Ich glaube, dass die Öffentlichkeit diesmal nichts an unseren Vorkehrungen auszusetzen haben wird», erwiderte er hochmütig. «Der Narr hat uns ja frühzeitig gewarnt. Der Elfte ist erst am nächsten Mittwoch. Das lässt uns genügend Zeit, um eine breit angelegte Zeitungskampagne in die Wege zu leiten. Doncaster wird nachhaltig gewarnt sein! Jeder, dessen Name mit D beginnt, wird auf der Hut sein. Außerdem werden wir ein erhebliches Polizeiaufgebot in die Stadt entsenden. Das ist bereits mit allen Polizeichefs von England abgesprochen. Ganz Doncaster, Polizei und Zivilbevölkerung, wird auf der Jagd nach dem Mann sein, und mit etwas Glück sollten wir ihn diesmal wirklich fassen.»
«Man merkt, dass Sie kein Sportsmann sind, Inspektor», warf Clarke hier ein.
Crome sah ihn verblüfft an.
«Menschenskind! Sie wissen ja nicht einmal, dass nächsten Mittwoch in Doncaster das St.-Leger-Pferderennen stattfindet!»
Der Unterkiefer des Inspektors sank herunter. Um sein Leben wäre er in diesem Augenblick nicht fähig gewesen, sein stereotypes «Ach? Wirklich?» zu. äußern. Stattdessen sagte er:
«Stimmt. Ja, das erschwert die Sache natürlich…»
«ABC ist kein Narr, auch wenn er verrückt ist.»
Wir schwiegen alle und machten uns mit dieser neuen Situation vertraut. Die
Weitere Kostenlose Bücher