Die Morde des Herrn ABC
enfant!» lächelte er.
«Kommen Sie jetzt, Hastings», befahl er dann. «Wir müssen nach Eastbourne.»
Der Wagen wartete schon vor dem Haus, und bald fuhren wir die Küste entlang – über Pevensey nach Eastbourne.
«Hat es einen Sinn, Sie jetzt etwas zu fragen, Poirot?»
«Im Augenblick nicht. Machen Sie sich ruhig einmal Ihren eigenen Reim auf alles, was ich tue und sage!»
Also schwieg ich wieder. In Pevensey schlug Poirot vor, auszusteigen und das Schloss zu besichtigen.
Als wir zum Wagen zurückkamen, betrachtete er eine Gruppe Kinder, die unweit einen Ringelreihen aufführten und misstönend und schrill dazu sangen.
«Was singen sie, Hastings? Ich kann die Worte nicht verstehen.» Ich horchte aufmerksam, bis ich den Refrain verstand.
Fang einen Fuchs
Und sperr ihn ein
Und lass ihn nie mehr frei!
Poirot wiederholte diese Worte. Sein Gesicht war plötzlich sehr ernst geworden.
«Das ist schrecklich, Hastings.» Er schien etwas zu überlegen.
«Ihr jagt hier den Fuchs?»
«Ich nicht. Ich habe mir nie eine Jagd leisten können. Und überhaupt wird in dieser Gegend nicht viel gejagt.»
«Ich meine in England im Allgemeinen. Ein seltsamer Sport. An einem bestimmten Ort zu warten, bis das Halali ertönt – heißt es nicht so? – und dann beginnt die Hatz, über Hecken und Gräben, quer durch das Land – und der Fuchs rennt, rennt – schlägt manchmal Haken – aber die Hunde sind ihm auf der Spur und fangen ihn schließlich doch, und er stirbt – schnell und scheußlich!»
«Das klingt freilich grausam, aber in Wirklichkeit…»
«Freut sich der Fuchs darüber? Sagen Sie jetzt bloß keine Dummheiten, Hastings! – Tout de même, dieser schnelle, furchtbare Tod ist aber noch besser als das, was die Kinder gesungen haben… Eingesperrt zu sein – für immer eingesperrt… Nein, das ist viel ärger!»
Er schüttelte den Kopf. Dann erklärte er, wieder gefasster: «Morgen werde ich diesen Cust besuchen.» Und dem Chauffeur rief er zu: «Zurück nach London!»
«Fahren wir nicht nach Eastbourne?», rief ich erstaunt.
«Wozu? Ich weiß genug – für meine Zwecke.»
33
I ch war bei der Unterredung zwischen Poirot und dem seltsamen Mr. Cust nicht zugegen. Aufgrund seiner Beziehungen zur Polizei und der verworrenen Umstände dieses Falles hatte Poirot wohl sofort eine Vollmacht des Ministeriums des Inneren für einen Besuch bei dem Häftling bekommen, aber diese Bewilligung erstreckte sich nicht auf meine Person. Außerdem war Poirot selber dafür, dass diese Unterredung streng vertraulich und nur unter vier Augen stattfinden sollte.
Aber Poirot hat mir nach seinem Besuch einen so eingehenden Bericht über den Verlauf des Gesprächs mit Cust gegeben, dass ich ihn hier niederschreiben kann, als wäre ich persönlich dabei gewesen.
Mr. Cust schien kleiner geworden zu sein. Mehr denn je fiel seine gebückte Haltung auf. Er nestelte unruhig an den Knöpfen seiner Jacke herum.
Poirot schwieg lange Zeit. Er saß nur da und sah sein Gegenüber aufmerksam an. Dadurch entstand eine fast ruhige, gelöste Atmosphäre – eine besänftigende Stille… Dieses Zusammentreffen der beiden Gegner in der Tragödie muss ein dramatischer Augenblick gewesen sein. An Poirots Stelle hätte ich meine Erregung nicht zu unterdrücken vermocht. Aber Poirot ist ein gelassener, nüchterner Mensch. Er wusste genau, was er mit dieser ruhigen Zurückhaltung bezweckte.
Endlich fragte er den Mann liebenswürdig: «Wissen Sie, wer ich bin?»
Der andere schüttelte den Kopf.
«Nein – nein, leider nicht. Vielleicht wurden Sie von Mr. Maynard hergeschickt?»
(Maynard und Cole waren seine offiziellen Verteidiger.)
Mr. Cust sprach in höflichem, wenn auch keineswegs sehr interessiertem Ton. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
«Ich bin Hercule Poirot.»
Das sagte mein Freund ganz beiläufig, beobachtete aber den Effekt, den seine Worte machten, sehr scharf.
Mr. Cust hob den Kopf.
«Ach, wirklich?»
Das äußerte er genauso, wie Inspektor Crome es betont haben könnte, nur ohne dessen Herablassung.
Dann, wenigstens eine Minute später, wiederholte er die beiden Worte. «Ach? Wirklich?» Nur war diesmal eine wache Gespanntheit in seiner Stimme. Er sah Poirot groß an. Hercule Poirot begegnete seinem Blick und nickte dann zweimal.
«Jawohl, ich bin der Mann, dem Sie die Briefe geschrieben haben.»
Das riss nun alle Schranken mit einem Schlag nieder.
Mr. Cust begann plötzlich schnell und
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