Die Morgengabe
Knien zu Quin zurückzukriechen, zu ersticken.
«Also gut, Heini, wenn du gewinnst
und Mantella es arrangieren kann, dann komme ich mit. Und ich helfe dir, soviel
ich kann.»
Das war vor zwei Wochen gewesen, und
Ruth hatte sich ganz in seinen Dienst gestellt. Sie hatte seine zerfetzten
Noten geklebt; sie massierte seine Finger; sie saß unermüdlich neben ihm,
während er die gefürchteten Arpeggios der Hammerklaviersonate übte.
Sie half auch Pilly, fuhr täglich zu
ihr und schrieb noch einen ganzen Stapel Merkzettel, die Pilly überall an die
Wände kleben konnte, bis schließlich sogar Mr. Yarrowby, der sich jeden Tag
unter Schaubildern der Fortpflanzung bei den Schwämmen oder der Dinosaurierfundstätten
in den Vereinigten Staaten rasierte, ein achtbarer Zoologe wurde. Und sie
bediente weiterhin im Willow.
Kurz vor Ostern zog Kurt Berger, den
man in Manchester für ein weiteres Semester verpflichtet hatte, dort in ein
größeres Zimmer um und bat Leonie, zu ihm zu kommen. Zwischen Mann und Tochter
hin und her gerissen, wußte Leonie nicht, was sie tun sollte. Schließlich gab
Ruth den Ausschlag. «Du mußt fahren, Mama», insistierte sie. «Mir geht es doch
gut. Ich habe Mishak und Tante Hilda, und es ist ja nur für ein paar Wochen.
Wenn alles vorbei ist, der Wettbewerb und die
Examen, können wir es uns richtig schön machen.»
Leonie reiste also nach Manchester,
und Ruth, von den Zwängen mütterlicher Fürsorge befreit, arbeitete noch härter
und fühlte sich noch elender – und dann begann schon wieder das Sommersemester.
Quins Vorlesungen hatten zu Ostern geendet. In den
Wochen vor den Abschlußexamen hielt er nur zwei Wiederholungsseminare ab, den
Rest seiner Zeit verbrachte er im Museum. Er hatte sich innerlich darauf
vorbereitet, wie er mit Ruth umgehen sollte, wenn er sie sehen sollte. Auf
anfängliche Wut war eisige Gleichgültigkeit gefolgt. Die Vergangenheit war
erledigt; Thameside trat mit dem Näherrücken seiner Abreise immer tiefer in die
Schatten zurück. Doch die betonte Gleichgültigkeit, das kühle Nicken, das er
ihr zugedacht hatte, waren gar nicht nötig. Ruth erschien nicht zu seinen
Seminaren und schaffte es, niemals dort zu sein, wo er gerade war. Das war
etwas ganz anderes als das Unsichtbarkeitsspiel, das sie zu Anfang des Jahres
gespielt hatte; sie hatte jetzt einen sechsten Sinn dafür entwickelt, ihm aus
dem Weg zu gehen, der sie selten im Stich ließ. Sie wußte, wann Quin im Haus
war – sie wußte es schon, ehe sie den Crossley am Tor sah –, und reagierte
entsprechend. Natürlich litt ihre Arbeit, aber das war ihr nicht mehr wichtig.
Wichtig war jetzt nur das Überleben.
Ihren Freunden entging nicht, wie
schlecht sie aussah; daß sie keinen Appetit hatte.
«Was ist denn nur los mit dir,
Ruth?» fragte Pilly Tag für Tag, und Tag für Tag antwortete Ruth: «Nichts. Es
geht mir gut. Ich sorge mich nur ein bißchen um Heini, das ist alles.»
Vor wenigen Wochen hatte man ihr
noch zugetraut, daß sie bei den Prüfungen als Beste ihres Jahrgangs abschneiden
würde; jetzt konnte man nur noch hoffen, daß sie überhaupt durchkommen würde.
Elke Sonderstrom wollte mit ihr sprechen, entschied sich dann aber aus eigenen
Gründen dagegen, und Roger Felton, der ihr normalerweise keine Ruhe gelassen
hätte, bis sie ihm gesagt hätte, was ihr fehlte, hatte selbst alle Mühe, die
Tage herumzubringen; die kanadische Tänzerin hatte nämlich zur allgemeinen Überraschung
Zwillinge geboren. Die Babys waren hinreißend–ein Junge und ein Mädchen –, und
Lillian war nach Jahren bitterer Enttäuschung rundum glücklich. Leider jedoch
schienen die beiden Kleinen vom Schlaf nicht viel zu halten. Nacht für Nacht
marschierte der arme Roger Felton in seinem Schlafzimmer auf und ab und dachte
voller Wehmut an die Tage zurück, als das Thermometer seine einzige Sorge
gewesen war. Er wußte, daß es Ruth nicht gutging, daß sie in ihrer Arbeit stark
nachgelassen hatte, aber er schloß sich der allgemeinen Überzeugung an, daß sie
sich um Heini sorgte und ihre Arbeit jetzt hinter der gemeinsamen Zukunft mit
ihm den zweiten Platz einnahm.
Nur ein Vergnügen gestattete sich
Ruth in diesen unglücklichen Wochen. Es ergab sich aus einem Gespräch, das sie
mit ihrer Mutter führte, ehe diese nach Norden reiste.
«Was ist eigentlich aus dem alten
Philosophen geworden», fragte Ruth, «der in Wien immer in Gedanken versunken
auf der Bank vor der Börse saß?»
«Ach, den haben sie schon vor
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