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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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Vorlesung.»
    Sie hatte seinen Namen gesagt. Sie
hatte sich so englisch verhalten wie Lord Nelson auf der Säule.
    Aber in der Untergrundbahn sah sie
der Wahrheit ins Auge. Es war nicht Mut, es war die Unmöglichkeit, nicht dort
zu sein, wo er war, und an dieser Stelle, während sie Mr. Thermo anstarrte,
kehrten die Gedanken tiefster Verzweiflung zurück. Sie wußte, daß er mit ihr
ein klein wenig glücklich gewesen war; ja, das wußte sie. Wenn sie seine
Bedingungen annahm, wenn sie sich von Bowmont und aus seinem öffentlichen Leben
fernhielt ... wenn sie sich irgendwo in London eine Arbeit suchte und eine
Wohnung, eine billige Wohnung wie die Janets, wo sie manchmal zusammensein
konnten? Sie konnten ihre Ehe annullieren lassen wie geplant, er konnte sich
mit einer Frau seiner eigenen Kreise verheiraten, wenn er das wünschte, aber
sie würde immer für ihn da sein. Nur um ihn ab und zu zu sehen, nur um zu
wissen, daß sie nicht in graue Wüsten endloser Zeit ohne ihn verstoßen werden
würde.
    Nein, das hatte keinen Sinn. Geheime
Liebesnester waren etwas für Leute, die kontrolliert und beherrscht waren,
nicht für solche, die meinten, sie müßten sterben, wenn der Geliebte aus dem
Bett aufstand, um ein Glas Wasser zu holen. Sie liebte ihn viel zu sehr dafür,
sie würde Szenen machen und Forderungen stellen. Sie konnte nur eines tun:
ihren Studienabschluß machen und für immer verschwinden.
    Als sie am Embankment ausstieg und
zum Aufzug ging, sah sie, daß Kenneth Easton im selben Zug gewesen war. Kenneth
war im allgemeinen wenig freundlich, genau wie Verena, aber heute schien er mit
ihr zusammen gehen zu wollen, und Ruth sah, daß er blaß war und elend aussah.
Das Spiegelbild in einem Schaufenster, an dem sie vorüberkamen, zeigte zwei
blasse, niedergeschlagene Unglücksraben.
    «Du siehst ein bißchen müde aus»,
sagte Ruth, während sie zur Brücke gingen.
    «Ja, das bin ich auch», antwortete
Kenneth. «Ich bin schrecklich müde. Ich habe überhaupt nicht geschlafen.»
    «Gut, daß das Semester jetzt zu Ende
ist», sagte Ruth.»Von morgen an kannst du nach Herzenslust faulenzen. Das
Squashspielen ist ja auch ziemlich anstrengend.»
    Kenneth wandte sich ihr zu. Sein
langes Gesicht zeigte Dankbarkeit, sie hatte ihm den Anknüpfungspunkt
geliefert, den er sich gewünscht hatte.
    «Ja, es ist nicht nur anstrengend,
es ist auch sehr teuer. Und das ist nicht das einzige ... weißt du, es ist gar
nicht so einfach, dauernd statt < Entschuldigung > < Pardon > zu sagen
und solches Zeug. Manchmal versteht meine Mutter überhaupt nicht, was ich meine.
Und die Leute in Edgware Green schauen mich komisch an, weil ich plötzlich
versuche, keinen Dialekt mehr zu sprechen. Aber das hat mir alles nichts
ausgemacht, weil ich wirklich dachte, Verena würde mich mit der Zeit immer mehr
mögen.»
    Sie hatten den Fluß erreicht, und
einen Moment lang verlor Ruth die Konzentration («Ich kaufe tausend
Limonadenflaschen und stecke in jede ein Briefchen, und jede ...»)
    Als sie Kenneths Stimme wieder
hörte, bekannte er gerade seine große Torheit. «Ich habe ihr praktisch einen
Antrag gemacht. Das war gestern abend nach dem Squash, als wir im Club noch
etwas zusammen getrunken haben. Es war sehr nett. Ich vergaß völlig, daß mein
Vater nur ein Lebensmittelhändler war. Er ist tot, aber das macht es nur noch
schlimmer. Wäre er am Leben geblieben, hätte er es vielleicht weiter gebracht,
aber jetzt ist er auf immer und ewig ein Lebensmittelhändler.»
    «Und Verena hat dir einen Korb
gegeben?»
    «Ja. Und dann hat sie mir von
Professor Somerville erzählt, und das hat es nur noch schlimmer gemacht. Ich
wußte ja, daß sie eine Schwäche für ihn hat, aber ich dachte, es wäre einseitig
– aber als sie mir dann das mit Afrika sagte, war mir klar ...»
    Sieh ins Wasser, sagte sich Ruth.
Wasser heilt ... es schwemmt den Schmerz weg. «Was ist denn mit Afrika?»
    «Der Professor nimmt sie mit. Sie
wußte es schon vorher, aber sie hat nichts gesagt, weil es geheim bleiben soll
– und gestern war sie bei der Geophysikalischen Gesellschaft und hat erfahren,
daß der Assistent des Professors gerade noch eine weitere Kabine gebucht hatte.
Niemand darf etwas wissen – eigentlich sollte ich dir das gar nicht erzählen.
Du wirst doch nichts sagen, Ruth? Versprichst du mir das?»
    «Natürlich, Kenneth. Du kannst dich
auf mich verlassen.»
    «Ich hätte es wissen müssen. Die
besseren Leute bleiben immer unter sich. Leute wie wir sind

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