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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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ihnen zur
Abwechslung mal ganz recht, aber wenn es darauf ankommt, sind wir Luft. Mein
Vater war Lebensmittelhändler, das sagt alles. Ich hatte nie eine Chance.»
    Nein, auch ich hatte nie eine
Chance. Mein Vater ist etwas viel Schlimmeres als Lebensmittelhändler. Nun,
wenigstens blieb ihr die Demütigung erspart, sich Quin als eine Art Konkubine
anzubieten. Die Reise nach Afrika würde Monate dauern, und es war undenkbar,
daß er nicht irgendwann Verena heiraten würde. Kenneth hatte ihr einen
Gefallen getan, indem er die letzten Hoffnungsfunken ausgetreten hatte.
    Sie schaffte es, ihm ein paar
tröstende Worte zu sagen, und dann gingen sie gemeinsam durch den Torbogen in
den Hof der Universität. Am anderen Ende, wie zur Bestätigung all dessen, was
Kenneth gesagt hatte, standen Quin und Verena in lebhaftem Gespräch unter dem
Walnußbaum. Quin hob den Kopf; er sah sie direkt an. In der Nacht hatte sie
geglaubt, es könnte nicht schlimmer werden, aber sie hatte sich getäuscht. Sie
durfte jetzt nicht zu ihm laufen, sich nicht in seine Arme werfen und ihn
bitten, sie aus diesem Alptraum zu befreien, und das war noch schlimmer. Sie
zupfte Kenneth am Ärmel.
    «Kenneth, ich glaube, ich geh doch
nicht zur Vorlesung – Heini hatte mich gebeten, in den Konzertsaal zu kommen,
wo er übt, und ich finde, das sollte ich tun. Würdest du Professor Somerville
Bescheid sagen und mich entschuldigen? Sag ihm, daß ich zu meinem Verlobten
muß, und frage Sam, ob ich später seine Notizen haben kann.»
    Kenneth, der ebenfalls litt, brachte
eine hochherzige Geste zustande. «Du kannst meine Notizen haben, Ruth. Meine
Schrift ist viel klarer als die von Sam.»
    Quin
hatte sie kommen
sehen; hatte ihr leuchtendes Haar gesehen, ihren schönen Gang, ihre anmutige
Gestalt in dem abgetragenen Cape, und sein Herz hatte einen Sprung getan.
Jetzt, am Morgen, wußte er, daß das, was er in der Nacht gedacht hatte,
unmöglich war, und er wartete darauf, daß sie ihm entgegenlaufen würde. Aber
dann blieb sie stehen und drehte sich um und ging davon, und noch ehe Kenneth
ihm Ruths Worte ausrichtete, packte der Schmerz ihn mit eisernen Zangen, und
aus der Ungläubigkeit wurde Überzeugung. Er war gebraucht und verraten worden.

27
    Ruth arbeitete während der ganzen
Osterferien. Die Arbeit war, wie sie ihrer Mutter versicherte, schuld an den
Schatten unter ihren Augen, an ihrem mangelnden Appetit und einem grünlichen
Schimmer auf ihrer Haut.
    «Dann mußt du eben aufhören!» schrie
Leonie sie an, die es nicht aushalten konnte, ihre Tochter so elend und
unglücklich zu sehen.
    «Das kann ich nicht», antwortete
Ruth und zitierte unweigerlich Mozart, der gesagt hatte, er arbeite weiter,
weil es ihn weniger ermüde, als zu rasten.
    Ruth mochte körperlich und seelisch
erschöpft sein; Heini war dagegen glänzender Stimmung. Er und Ruth hatten sich
wieder ganz ausgesöhnt. Sie war zu ihm gekommen und hatte ihn um Verzeihung
gebeten, und er hatte sie ihr von ganzem Herzen gewährt.
    «Es ist nicht deine Schuld,
Liebste», hatte er gesagt. «Diese Wohnung hätte jeden abgeschreckt. Aber wenn
du mir jetzt hilfst, Ruth, wenn du mir jetzt zur Seite stehst, dann kann ich
gewinnen, das weiß ich. Ich verlange nichts Körperliches – wenn ich mir einen
Namen gemacht habe, können wir heiraten und irgendwo in einem herrlichen Hotel
unsere Flitterwochen verbringen. Mantella meint nämlich, er könnte mir helfen,
nach Amerika zu kommen, wenn alles gutgeht, und wenn ihm das gelingen sollte,
mußt du mitkommen. Du mußt einfach – ich könnte niemals allein dorthin gehen.»
    «Nach Amerika? Ach Heini, das ist so
weit!»
    Was er darauf gesagt hatte, während
er in den grauen, kalten Regen hinausblickte, hatte sie tief getroffen.
    «Weit weg?» hatte er wiederholt.
«Von wo?» Und sie hatte erkannt, was er im Land ihrer Zuflucht sah: die
schäbige Unterkunft, die Armut, die fremde Sprache, das erbärmliche Essen.
Dennoch kämpfte sie.
    «Ich könnte meine Eitern nicht
verlassen.»
    Er hatte sie bei beiden Händen
genommen und ihr in die Augen gesehen. «Ruth, du bist egoistisch. Wir können
sie doch nachholen, sobald ich festen Boden unter den Füßen habe. Alle sagen,
daß es zum Krieg kommen wird – und was ist, wenn London bombardiert wird?»
    «Ja, natürlich.» Er hatte recht. Sie
war egoistisch. Sie konnte ihren Eltern so am besten helfen – und auch sich
selbst. Fünftausend Kilometer Abstand müßten eigentlich ausreichen, alle Versuchung,
auf

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