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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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ist.
    Ruth wurde wieder übel. Bitte,
lieber Gott, ich werde alles tun, was du von mir verlangst, aber laß Heini den
ersten Preis gewinnen!
    Das Abendessen war ausgezeichnet gewesen, wie immer bei Rules; sie
hatten einen erlesenen Chablis getrunken, und Claudine Fleury, in einem kleinen
schwarzen Kleid, das bemerkenswerte Ähnlichkeit mit einem raffinierten
Hemdchen hatte, hatte Quin zu einem vielbeneideten Mann gemacht.
    Jetzt gähnte sie verhalten. «Das war
ein wunderschöner Abend, Darling. Ich wünschte, wir könnten jetzt zu mir
fahren, aber Jacques ist noch eine ganze Woche hier.»
    «Natürlich, das verstehe ich», sagte
Quin, und es gelang ihm, gerade das richtige Maß an Bedauern in seine Worte zu
legen. Claudine hatte ihn einige Tage zuvor angerufen, weil sie ihn noch einmal
sehen wollte, ehe er nach Afrika abreiste, und er war bereit gewesen, den Abend
so zu nehmen, wie sie ihn gestalten wollte. Er schuldete ihr viele vergnügliche
Stunden; dennoch kam ihm die vorübergehende Heimkehr ihres Vaters nicht
ungelegen.
    «Wie geht es Jacques? Hat er wieder
ein paar junge Genies aufgetrieben?»
    «Du wirst lachen, das hat er
tatsächlich. Er rief an, kurz bevor ich ging. Er hat einen jungen Österreicher
unter Vertrag genommen, einen Pianisten, den er nach New York mitnehmen und
dort groß herausbringen will. Heute hat irgendein Wettbewerb stattgefunden; er
hatte mich aufgefordert mitzukommen, aber drei Klavierkonzerte an einem
Nachmittag – nein, danke!»
    «Dann hat dieser junge Österreicher
gesiegt?»
    «Nein. Er mußte sich den ersten
Preis mit einem Russen teilen, und das scheint ihm gar nicht recht gewesen zu
sein. Jacques hält den Russen für musikalischer, aber mit den Russen ist im
Moment nichts anzufangen; sie werden ja so streng bewacht. Den Osterreicher,
Heini Radek, hingegen kann er praktisch sofort in die Staaten mitnehmen. Und
seine Freundin auch – ein sehr hübsches Mädchen offenbar, die Radek abgöttisch
zu lieben scheint. Ich glaube, sie hat monatelang in einem Café als Bedienung
gearbeitet, um Radeks Klavier zu bezahlen oder so was Ähnliches.» Sie gähnte
wieder, legte dann ihre Hand auf die seine. «Wir werden uns wohl vor deiner
Abreise nicht mehr sehen?»
    «Nein, es sind ja nicht einmal mehr
drei Wochen. Und Claudine – ich danke dir für alles.»
    «Oh, das klingt aber sehr nach
endgültigem Abschied, Darling!» Sie sah ihn forschend an. «Wir werden uns doch
wiedersehen?»
    «Ja, natürlich.»
    Sie lächelte. «Du wirst mir fehlen, chéri. Du wirst mir sogar sehr fehlen, aber ich glaube, du brauchst diese Reise»,
sagte sie. «Ja, ich glaube, du brauchst sie ganz dringend.»
    Die Nachricht von Quins Entschluß, Thameside zu verlassen,
die der Vizekanzler offiziell am ersten Tag des Sommersemesters erhielt, hatte
Lady Plackett so mitgenommen, daß Verena sich gezwungen sah, unter vier Augen
mit ihrer Mutter zu sprechen und sie in den wahren Stand der Dinge einzuweihen.
    «Es gibt gar keinen Zweifel, Mama,
daß er die Absicht hat, mich nach Afrika mitzunehmen, aber es muß vorläufig
noch ein Geheimnis bleiben. Ich kann mich doch auf dich verlassen, nicht wahr?»
    Lady Plackett war nicht so erfreut
gewesen, wie Verena gehofft hatte. Sie wünschte einen Heiratsantrag von Quin,
nicht daß er sich ihrer Tochter als unbezahlte Forschungsassistentin bediente.
Doch sie mußte einsehen, daß Verena, die bisher immer nur getan hatte, was sie
selber wollte, nun ihre eigenen Wege ging. Sie blieb daher Quin gegenüber
freundlich und entgegenkommend und lud ihn weiterhin zu exklusiven kleinen
Abendessen ein.
    Verenas Reisevorbereitungen liefen
derweilen auf vollen Touren. Sie hatte sich eine Höhensonne gekauft; sie hatte
sich mit Netzhemden und Khakihosen eingedeckt; sie rieb sich ihre Füße
allabendlich mit Franzbranntwein ein. Andere hätten sich vielleicht gewundert,
weshalb der Professor so lange brauchte, um sie in seine Pläne einzuweihen,
aber Verena kannte keine Minderwertigkeitsgefühle, und wenn sie doch
irgendwelche Zweifel an sich gehabt hätte, so wären sie von Brille-Lamartaine
ausgeräumt worden, dessen aufgeregte Beschreibungen der akademischen femme
fatale, die Somerville in ihren Netzen gefangen hatte, genau auf sie
paßten.
    Doch nun, da die Abschlußexamen nur
noch eine Woche entfernt waren, fand Verena, sie könnte dem Professor
wenigstens einen Wink geben. Er hatte ihre letzte Arbeit so freundlich gelobt,
daß ihr ganz warm geworden war, und die intime Diskussion

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