Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
Vom Netzwerk:
verlangten Wolldecken.
    «Wenn es tatsächlich etwas Ernstes
sein sollte, wird das die arme Lavinia völlig niederschmettern. Sie hofft immer
noch, ihn für Fenella zu angeln.»
    «Das kann
ich verstehen. Bei dem vielen Geld und Ruth wich zurück und ging durch eine
andere Tür hinaus. Quin stand vorn am Bug und starrte ins Wasser. Ich habe
natürlich gewußt, daß er reich ist, dachte sie. Und daß die Welt voller
Fenellas ist, die ihn heiraten wollen, kann ich mir gut vorstellen. Meinen
Segen haben sie – ein Mann, der über Mozart spottet und vor Strauß davonläuft,
kann mir gestohlen bleiben.
    «Nach der Landung werden wir uns
wohl nicht wiedersehen», sagte sie entschlossen.
    «Ich möchte Sie gern noch nach
Belsize Park bringen, damit ich sicher sein kann, daß Sie wohlbehalten hei
Ihrer Familie ankommen. Aber danach – da haben Sie recht – wird es das beste
sein, wenn sich unsere Wege trennen. Sollten Sie irgend etwas brauchen, wenden
Sie sich einfach an meinen Anwalt – nicht nur wegen der Scheidung, sondern
auch, wenn Sie sonst Hilfe brauchen. Er ist ein alter Freund von mir.»
    Natürlich, dachte sie. Von jetzt an
läuft alles über den Anwalt.
    «Ich schulde Ihnen so viel», sagte
sie. «Nicht nur, daß Sie mich herausgeholt haben. Ich schulde Ihnen auch Geld.
Eine Menge Geld. Ich muß es Ihnen so schnell wie möglich zurückzahlen.»
    «Ja, tun Sie das», sagte er, und sie
sah ihn erstaunt an. Seine Stimme klang schroff und kühl, und das hatte sie
nicht erwartet. Die ganze Zeit war er doch so zugewandt gewesen, so generös.
«Sie wissen wohl, was das heißt?»
    «Daß ich
mir Arbeit suchen muß und ...»
    «Genau das heißt es nicht. Das wäre
das Dümmste, was Sie jetzt tun könnten – sich irgendeine mindere Arbeit zu
suchen, nur um schnell Geld zu verdienen. Ich kann mir Sie als Verkäuferin oder
Kellnerin richtig vorstellen. Das einzig Vernünftige für Sie ist es, unverzüglich
Ihr Studium fortzusetzen. Wenn das University College Ihnen einen Studienplatz
angeboten hat, sollten Sie zupacken. Eine bessere Chance werden Sie nicht
bekommen. Es gibt ja mittlerweile alle möglichen Stipendien für Leute in Ihrer
Lage; die Welt merkt langsam, was in Deutschland und seinen Nachbarländern
vorgeht. Wenn Sie dann Ihren Abschluß haben, können Sie sich eine anständige
Stellung suchen und mir nach und nach das Geld zurückzahlen.»
    Sie schien sich das durch den Kopf
gehen zu lassen, aber ihm fiel auf, daß sie nichts versprach. In der
Befürchtung, daß sie sich wieder irgendwelche Verrücktheiten einfallen lassen
würde, runzelte er die Stirn – und Ruth, die das Stirnrunzeln sah, fiel noch
etwas ein, das sie von ihm bekommen hatte.
    «Was ist mit dem Ring?» fragte sie.
«Was soll ich mit ihm tun?»
    «Was Sie wollen», antwortete er gleichgültig. «Sie
können ihn verkaufen oder versetzen oder behalten.»
    Sie sah auf ihre Hand hinunter. «Auf
jeden Fall ist es besser, ich ziehe ihn aus, ehe meine Eltern Fragen stellen.
Oder Heini, falls er schon da ist.»
    Sie zog an dem Ring, drehte ihn, zog
wieder. «Er sitzt fest», sagte sie verblüfft.
    «Unmöglich», meinte er. «Er hat sich
so leicht aufstecken lassen.»
    «Aber er sitzt trotzdem fest»,
versetzte sie, plötzlich zornig. «Vielleicht haben Sie warme Hände.»
    «Unsinn! Es ist eiskalt hier
draußen.» Es stimmte. Sie hatten den Hafen hinter sich gelassen, und der Wind
war bitterkalt.
    Er legte leicht eine Hand auf die
ihre. «Nein, sie sind wirklich kühl. Hm, versuchen Sie es einmal mit Seife.»
    Ohne Antwort drehte sie sich um und
lief mit wehenden Haaren davon. Sie blieb ziemlich lange weg, und als sie
zurückkam und ihre Hand wieder auf die Reling legte, sah er erstaunt ihren
Ringfinger. Er war nicht nur gerötet, er sah geschunden aus, wie durch die
Mangel gedreht.
    «Du lieber Gott», sagte er. «War es
so schlimm?»
    Sie nickte, immer noch sichtlich
erregt. Er spürte, daß sie sich in ihre alttestamentarische Welt der Omen und
Verwünschungen zurückgezogen hatte, und ließ sie in Ruhe.
    Erst als England vor ihnen
auftauchte, sagte er: «Schauen Sie! Da sind sie!»
    Und da waren sie in der Tat: die
weißen Felsen von Dover, vielbesungenes Symbol der Freiheit. Weit weniger
eindrucksvoll, als der Ausländer erwartet; nicht sehr hoch und nicht sehr weiß,
und dennoch war Quin, der sich oft genug über diese Felsformation der
Kreidezeit, die sich durch nichts auszeichnete, lustig gemacht hatte, in diesem
Moment wirklich ergriffen.

Weitere Kostenlose Bücher