Die Morgengabe
anzufangen – und selbst wenn er die Examen bestehen sollte, würde man
zweifellos irgendeine andere Vorschrift finden, um ihn an der Ausübung seines
Berufs zu hindern. Er konnte es den Ärzten hier nicht einmal zum Vorwurf
machen. In Wien waren die Ärzte genauso repressiv gewesen, wenn es darum
gegangen war, Emigranten aus dem Osten zuzulassen.
«Ich nehme Ihnen Ihren Springer»,
sagte er zu von Hofmann, der bisher weder «Schweinehund», noch sonst etwas in
einem Film über den Weltkrieg hatte sagen dürfen. Die Schauspielergewerkschaft
hatte ihr Veto eingelegt, und da es ganz danach aussah, als stünde ein neuer
Krieg bevor, wollte sowieso kein Mensch Soldatenfilme sehen. Die Leute wollten
Fred Astaire und Rita Hayworth und Deanna Durbin sehen; Ozeandampfer und
schicke Wohnungen in Manhattan, die ganz in Weiß
ausstaffiert waren – und wer sagte in so einer Umgebung schon «Schweinehund»?
Die Dame mit dem Pudel trat ein, und
Mrs. Weiss mit ihrer dicken Börse aus Roßhaar war enttäuscht. Sie hatte
gehofft, es käme jemand, den sie zu einem Stück Kuchen einladen und über ihre
Schwiegertochter aufklären könnte, die sie heute morgen gezwungen hatte, ihr
Schlafzimmerfenster zu öffnen, angeblich, weil das Zimmer dringend gelüftet
werden müßte. Nie hatte Mrs. Weiss feuchte Luft in ein Zimmer gelassen, in dem
sie schlief, das hatte sie Moira klipp und klar gesagt, und Georg (der jetzt
George hieß), der die Partei seiner Mutter hätte ergreifen müssen, hatte sich
klammheimlich davongemacht und war ins Büro gefahren.
An dem Tisch beim Garderobenständer
saßen der Hamburger Bankier und seine Frau, schweigend, jeder in eine
Zeitschrift vertieft. In Deutschland hatten sie gemeinsam mit Lisas Liebhaber
eine glänzend funktionierende ménage à trois gebildet, aber der
Liebhaber, ein Autohändler mit rein arischem Stammbaum, war in Deutschland
geblieben, und so sehr der Bankier sich bemühte, ihn zu ersetzen, er wußte, daß
sein Bemühen zum Scheitern verurteilt war. Die Wände ihres kleinen Zimmers
waren dünn, das Bett war schmal – und hinterher seufzte sie jedesmal.
Da kam endlich Leonie Berger, und
die Traurigkeit, die in ihnen allen war, richtete sich auf einen Brennpunkt. Es
war gar nicht nötig zu fragen, ob es Neues gäbe. Diese Frau war eine Demeter,
die alle Hoffnung, ihre Tochter aus der Unterwelt zu retten, aufgegeben hatte.
Ruth war verloren wie Persephone, und in die Straßen Nord-West-Londons war der
Winter eingefallen.
Begleitet von ihrem Mann und ihrem
Onkel, ging Leonie zu ihrem Tisch und setzte sich. Niemand im Raum wagte heute
mehr als ein Nicken zur Begrüßung. Selbst ein Lächeln schien aufdringlich.
In der Küche holte Miss Violet das
Kuchenmesser, Miss Maud schnitt den jungfräulichen Guglhupf an, Mrs. Burtt
holte einen Teller – und die Prozession setzte sich in Marsch.
«Mit den besten Empfehlungen der
Geschäftsleitung», sagte Miss Maud und stellte den Teller vor Leonie auf den
Tisch.
Leonie sah den Kuchen und verstand.
Sie verstand das Opfer an Prinzipien, die Ehre, die man ihr zuteil werden ließ.
Sie holte einmal tief Atem, wie eine Schwimmerin, bevor sie untertaucht. Ihr
Gesicht verzog sich, ihre Schultern fielen schlaff herab – und sie brach in
herzzerreißendes Schluchzen aus. Es war wie der Inbegriff alles Weinens, ein
Ausbruch von Schmerz und Tränen, der, einmal erfolgt, nicht mehr zu stoppen
war. Ihr Mann nahm ihre Hand, doch zum erstenmal in ihrem gemeinsamen Leben
stieß sie ihn von sich. Sie wollte ihre Tränen loswerden und sterben.
Niemand im Café rührte sich. Dr.
Levy bot keine ärztliche Hilfe an; von Hofmann, sonst der Kavalier in Person,
ließ sein Taschentuch in der Hosentasche. Miss Maud und Miss Violet sahen
einander nur stumm an, entsetzt über das, was sie angerichtet hatten.
Aber da stieß plötzlich Paul Ziller,
der am Fenster saß, seinen Stuhl zurück.
«Ach, du meine Güte!» sagte Miss Maud, ein milder
Ausdruck aus dem Mund einer Generalstochter angesichts des Schadens, der
beträchtlich war. Die Kaffeekanne auf dem Tisch der Bergers war umgestürzt, der
Kaffee auf das Tischtuch gelaufen, drei Porzellanteller waren zerbrochen ...Leonie Bergers Stuhl war, als sie aufgesprungen war, auf Dr. Levys Rührei
gefallen, und der Pudel hatte es natürlich nicht geschafft, sich aus dem Chaos
herauszuhalten. Unter wildem Gekläff hatte er den Garderobenständer attackiert,
der prompt umstürzte, um Haaresbreite die Keramikkatze auf dem
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