Die Morgengabe
bemühte sich derweilen
weiterhin um Güte und Langmut. Sie bot der Psychoanalytikerin aus Breslau,
einer finsteren, dunkelhaarigen Person, an, ihr beim Kochen zu helfen, weil sie
hoffte, so die Geruchsentwicklung der angefaulten Gemüse, von denen Fräulein
Lutzenholler sich ernährte, in annehmbaren Grenzen halten zu können. Sie holte
bei Paul Ziller, der drei Häuser weiter wohnte, seine Hemden ab, um sie ihm zu
waschen und zu bügeln. Sie besuchte Emigranten in den weiter außerhalb
liegenden Vororten. Aber am Ende der zweiten Woche erhob ihr Körper ersten
Protest. Sie bekam Schwindelanfälle; sie wurde so dünn, daß ihr der Rock über
die Hüften zu rutschen drohte. Und – was weit erschreckender war – es fiel ihr
immer schwerer, gut zu sein. Soundsooft hatte sie gute Lust, den Leuten eins
überzuziehen, und Miss Bates hätte sie am liebsten mit ihrer ewig tropfenden
Unterwäsche erdrosselt. Doch wenn sie es nicht mehr schaffen sollte, gut zu sein, würde die fragile Verbindung
zu einer gütigen Vorsehung reißen, und ihre Tochter würde in den Abgrund
stürzen.
Mrs. Burtt, die in der Spülküche des Tea-Rooms Willow Geschirr trocknete, war schlechter Laune. Sie hatte für Juden, Zigeuner und
Zeugen Jehovas an und für sich nicht viel übrig, und Kommunisten waren in ihren
Augen sowieso nichts wert. Aber die Zeitungen hatten an diesem Morgen von noch
mehr Gemeinheit und Scheußlichkeit als sonst zu berichten gewußt – daß man in
Berlin und Wien die Menschen wie Vieh zusammentrieb; daß altgediente Professoren
die Straßen mit Zahnbürsten schrubben mußten –, und obwohl sie keine Ahnung
hatte, wo der Polnische Korridor war, und sich nicht sonderlich für das
Schicksal der Menschen im Sudetenland interessierte, schien ihr, daß man nun
doch etwas gegen diesen Hitler würde unternehmen müssen. Ein schrecklicher
Gedanke, weil zu denen, die an einem solchen Unternehmen mitwirken würden, ihr
neunzehnjähriger Sohn Trevor gehörte, der erst heute morgen erklärt hatte, er
wolle am liebsten zur Air Force.
Auch die Gäste waren
niedergeschlagen. Sie brauchte gar nicht nach vorn zu gehen, um das zu spüren.
Sie unterhielten sich nicht wie sonst, sondern blätterten statt dessen stumm in
den Zeitschriften, die Miss Maud und Miss Violet seit neuestem im Café auslegten.
Nun, vielleicht würden sie sich über
den Guglhupf freuen, den Miss Maud gestern abend gebacken hatte. Er war
wirklich eine Pracht geworden. Sobald Mrs. Berger kam, wollte Miss Violet ihn
auftischen. Mrs. Berger sollte ihn anschneiden und das erste Stück probieren;
das war das mindeste, was man für die arme Frau, die sich so um ihre Tochter
sorgte, tun konnte.
Aber Mrs. Berger hatte sich an
diesem Morgen verspätet.
Mrs. Burtt hatte recht. Es lag eine neue
Hoffnungslosigkeit in der Luft. Alle wußten, daß Ruth auch mit dem neusten
Studententransport nicht gekommen war und Professor Berger vorhatte, nach Wien
zurückzukehren. Jetzt stand ihnen das gefürchtete lange Wochenende bevor, jene
zwei Tage, in denen all die Organisationen und Einrichtungen, die ihnen
helfen konnten, geschlossen waren, in denen selbst die Türen der Bibliotheken
und Cafés, in denen sie während der Woche Zuflucht fanden, ihnen verschlossen
blieben.
Paul Ziller, der vergeblich
versuchte, sich in einen Artikel über das Schmieren von Feldgeschützen zu
vertiefen, hatte wieder einmal von seinem zweiten Geiger geträumt, dem
rundlichen, kraushaarigen Karl Biberstein, dessen fürchterliche Witze dem
Quartett ständiger Anlaß zu stöhnendem Protest gewesen waren, der immerfort und
immer erfolglos irgendeiner langbeinigen Blondine nachgestiegen war – und der
nur seine Amati unters Kinn zu schieben brauchte, um zum Gott zu werden. Ziller
trauerte seinem Cellisten nach, der jetzt bei einer Tanzkapelle in New York
spielte; er trauerte seinem Bratschisten nach, der, rein arischer Abstammung,
in Wien geblieben war; die Trauer um Biberstein jedoch war ganz anderer Art,
denn Biberstein war tot. Als er die SS-Männer auf der Treppe zu seiner Wohnung
im vierten Stockwerk gehört hatte, hatte er den Passanten unten auf der Straße
zugerufen, sie sollten den Bürgersteig freimachen, und war gesprungen.
Dr. Levy spielte mit dem blonden
Schauspieler vom Burgtheater Schach, doch es fiel ihm schwer, sich zu
konzentrieren; er wußte jetzt mit Gewißheit, daß er seine medizinischen
Prüfungen nicht noch einmal ablegen würde. Mit 42 war er zu alt, um noch einmal
von vorn
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