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Die Morgengabe

Die Morgengabe

Titel: Die Morgengabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Ibbotson
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antwortete er. «Uns scheint es im großen und
ganzen zu liegen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, daß es Ihnen
gefallen würde.»
    «Nein, ich auch nicht», meinte sie
nachdenklich.
    Als das Dessert gebracht wurde –
Zitronensoufflé mit einem Glas Tokaier, frisches Obst, Schokoladetrüffel und
danach türkischer Kaffee –, rief sie impulsiv: «Das ist ja wirklich paradiesisch.
Ich glaube, wenn ich reich wäre, würde ich mein Leben lang mit der Eisenbahn
durch die Weltgeschichte reisen und niemals ankommen. Niemals ankommen, immer
nur fahren, fahren.»
    «Davon träumen viele Menschen»,
bemerkte Quin. Er knackte ihr eine Walnuß und legte sie ihr auf den Teller.
«Ankommen heißt ja leben, und leben ist Schwerstarbeit.»
    «Für Sie auch?»
    «Für jeden.»
    Ruth sah ihn an und fragte sich, was
für einen Mann denn schwierig sein konnte, der so wohlhabend, so erfolgreich
und dazu Bürger eines freien und mächtigen Landes war. «Es ist merkwürdig,
schon vor dem Horror – vor den Nazis, meine ich, haben alle möglichen Leute zu
mir gesagt: Ach, du bist jung und gesund, du hast bestimmt keine Probleme. Aber
manchmal hatte ich doch welche. Jetzt, wo es um Leben und Tod geht, erscheinen
sie mir natürlich lächerlich. Aber wissen Sie ... mit Heini ... ich liebe ihn
wirklich von ganzem Herzen und möchte nur für ihn da sein, aber manchmal ist
mir das trotzdem furchtbar schwergefallen.»
    «Inwiefern denn?»
    «Na ja, Heini ist Musiker. Er muß
fast den ganzen Tag am Klavier sitzen und üben und möchte mich ständig um sich
haben. Aber ich bin so gern draußen im Freien – das geht wahrscheinlich jedem
so –, und im Freien kann man eben nicht Klavier spielen – höchstens wenn man
bei der Frauenkapelle vom Prater ist», fügte sie mit einem anklagenden Blick zu
Quin hinzu. Der lachte ganz ohne Zerknirschung. «Jedenfalls bin ich manchmal
richtig böse geworden, wenn ich stundenlang im Zimmer sitzen mußte, immer bei
fest geschlossenen Fenstern, weil Klaviere keine Zugluft vertragen. Jetzt, wo
mir klar wird, wie schön ich es damals hatte, erscheint es mir schrecklich
kleinlich und undankbar. Glauben Sie, daß wir wieder genauso kleinlich und
undankbar werden, wenn die Welt wieder normal werden sollte?»
    «Wenn es kleinlich und undankbar
ist, gern im Freien zu sein, dann sicher ja», meinte Quin.
    Aber nun ließ es sich nicht länger
aufschieben. Die meisten Gäste gingen. Die Kellner begleiteten ihren Aufbruch
mit höflichen Verbeugungen und strichen ihr Trinkgeld ein. Ruth hatte jetzt der
Tatsache ins Gesicht zu sehen, daß sie sich mit Quinton Somerville auf
Hochzeitsreise befand und nun zu Bett gehen mußte.
    «Ich bleibe noch ein Weilchen in der
Bar und rauche eine Pfeife», sagte Quin.
    Sie stand auf und ging durch die
dämmrig beleuchteten, stillen Korridore der Schlafwagen zu Abteil Nummer 23. Es
hatte keinerlei Ähnlichkeit mit den mit zwei Stockbetten und einer schmalen Leiter ausgestatteten
Schlafzellen, die sie von früheren Reisen kannte. Kein Darandenken, einfach ins
obere Bett hinaufzuklettern und bis zum Morgen unsichtbar zu
bleiben. Hier gab es zwei richtige Betten, die lediglich durch einen schmalen,
mit Teppich bespannten Gang voneinander getrennt waren. Wäre sie eine echte
Hochzeitsreisende gewesen, sie hätte ihrem frisch angetrauten Ehemann die ganze
Nacht die Hand halten können.
    Der Steward hatte schon alles für
die Nacht vorbereitet. Quins Pyjama und ihr züchtiges Jungmädchennachthemd aus
vernünftiger
Baumwolle lagen adrett drapiert auf weißen Kopfkissen mit Monogramm. Auf dem Bord über dem
Waschbecken warteten Quins Rasierapparat und Rasierpinsel in trauter
Gemeinschaft mit ihrer Zahnbürste. Die Lampen mit den
rosafarbenen Schirmen warfen ein sanftes Licht auf die dunkle Täfelung; in
Kristallkaraffen funkelte frisches Wasser; in einer Schale aus getriebenem
Silber glühten dunkel blaue Trauben.
    Sie kleidete sich aus, schlüpfte in
das Nachthemd, das sie für ihre große Tour auf die Kanderspitze eingepackt
hatte, und stellte sich einen wonnigen Moment lang vor, sie
trüge fließende nilgrüne Seide. Keiner hätte sie darin zu sehen bekommen, denn
sie hätte ja die Bettdecke bis zum Hals hochgezogen, aber sie hätte gewußt, daß
sie sie trug.
    Im Bett schaltete sie zunächst das
Licht aus, um Quin die Möglichkeit zu geben, ungesehen hereinzuschlüpfen;
schaltete es wieder
an, weil sie fürchtete, er könnte sich im Dunklen stoßen; und stellte fest, daß es

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